2002 – Zwei gurken durch den Spreewald

Start in Berlin

Himmel noch mal, man kann es mit dem Umweltschutz auch übertreiben! Verschwitzt und durstig halten Mireille und ich nach den ersten drei Stunden unserer Radtour, die uns von Berlin in den Spreewald und wieder zurück führen soll, vor einer Drogerie. Alt-Glienicke hat seinen sehr dörflichen Charakter erhalten, mit Kopfsteinpflaster, das uns unangenehm durchrüttelt. Einen Supermarkt haben wir nirgends entdecken können.

Während Mimi bei den Rädern bleibt, versuche ich, zwei Flaschen Mineralwasser zu kaufen. Gar nicht so einfach! Erst einmal muss ich lange warten, bis der Mann vor mir bedient worden ist. Dann werde ich von der tief dekolletierten Verkäuferin beschieden:

Getränke um die Ecke,

eine Treppe tiefer

Knapper geht’s nicht – kein Zweifel, wir sind immer noch in Berlin ! Unten falle ich von einem Erstaunen ins andere: mehr als einen Euro für eine Flasche Vittel plus 50 Cents Straf-Pfand für eine Einwegflasche! Wenn ich das in Paris erzähle, glaubt mir kein Mensch. Das einheimische Wasser in Glasflaschen kostet dagegen nur vierzig Cents plus weitere fünfzehn für Pfand.

Die Leute hier  sind erheblich weniger freundlich als der witzige Schaffner des DB-Zuges von Paris nach Berlin, der beim Morgenkaffee den ganzen Bistro-Wagen mit seinen Geschichten unterhielt. Währenddessen zieht draußen das  neue Berlin  zwischen Bahnhof Zoo und Ostbahnhof, der bei unserem letzten Besuch vor vier Jahren noch nicht fertig war, vorbei: das Kanzleramt und die Kuppel des Reichstags, das Rote Rathaus, der Alex und immer wieder ganze Wälder von Kränen. Beeindruckend !

Berlin Ostbahnhof, Berlin, Germany (Photos Puzzles Framed Prints Canvas  Cards...) #20338735

Am Ostbahnhof angekommen, befreien wir unsere Räder, die – hurra ! – schwarz gefahren sind. Der französische Kontrolleur war sich zu fein, uns zu helfen, sie in den dafür bestimmten Wagen zu wuchten und sein deutscher Kollege war anderweitig beschäftigt. Beamte aller Länder, vereinigt Euch ! Nun fahren wir in einem funkelnagelneuen Aufzug nach unten und bewundern en passant die gefällige Konstruktion aus Glas. Vor dem Bahnhof erklärt mir ein echter Berliner Taxifahrer, wie wir in Richtung Teltowkanal fahren müssen: 

Eenmal nach rechts, vorne anne Kreuzung links und denn ejalwech grade aus .

Also los! Als erstes kommen wir an die Mauer. Ein großes Stück ist quasi zur Freiluftgalerie geworden. Im Jahre 2000 wurde von Künstlern aus aller Welt dieses Stück ‘im Stil’ neu bemalt. Daneben wirkt das alte authentische Stück blass, rott und irgendwie rührend.

Etwas später faszinieren uns zwei überdimensionierte Figuren aus durchlöchertem Metall, die über der Spree zu schweben scheinen. Wir fahren an den alten Hafenindustrieanlagen vorbei, die stilgerecht restauriert werden. UNIVERSAL hat seine riesen Glasgebäude an die Stralauer Allee gelegt – überall wird gebaut oder renoviert was das Zeug hält.

Wir fahren durch den Treptower-Park,  wo splitternackte Männer sich sonnen und wir sogar ein kleines Zelt entdecken. Man stelle sich das im  Bois de Boulogne vor ! Dann bewundern wir am Rand des Parks schöne Villen, die alsbald in die typischen Berliner Vorortreihenhäuser übergehen.

Ich habe viel zu tun mit Kartenlesen und bringe Mimi bei, wie man unterscheidet, ob man nun gerade durch Straßen des ehemaligen Ostens oder Westens fährt: Die Straßenschilder haben immer noch eine andere Typographie. Mi fragt mich aber auch, bass erstaunt:

Sag mal, lächeln die Leute

hier eigentlich nie?

Es stimmt, viele alte Menschen sehen regelrecht verbiestert aus. Andererseits sind Pariser ja auch nicht immer besonders freundlich.

Wir kaufen belegte Schrippen und Kirschen aus Werder und wollen am Langen See, kurz vor Schmöckwitz, picknicken. Das Strandbad liegt fast verlassen da, weil die Leute das Eintrittsgeld sparen wollen. Dafür drängeln sich am schilfbestandenen Ufer die spärlich oder gar nicht bekleideten Massen, und wir haben Mühe, ein ruhiges Plätzchen für uns zu finden. Trotz der gut 30 Grad im Schatten fällt es mir angesichts der dreckigen Brühe schwer, unterzutauchen. Erst am Nachmittag kann ich im sauberen kühlen Wasser des Krossiner Sees baden. Wunderbar ist für mich das altbekannte Gefühl des Brandenburgischen Sandes unter den Füßen.

Mimi bewundert unterdessen die tadellose Schlange, die sich vor dem Wagen des Eismannes gebildet hat. Ich versuche, mit ein paar Frauen am Ufer ins Gespräch zu kommen, denn so allmählich müssen wir an eine Unterkunft denken. Bisher haben wir noch kein einziges Schild Zimmer frei oder Ferienwohnung gesehen. Das ist sehr erstaunlich wegen der vielen schönen Seen hier. Allerdings rechnen wir jetzt in Fahrrad- und nicht mehr in Autokilometern. Wir sind nämlich noch nicht weit genug von Berlin entfernt, normale Leute übernachten hier nicht. Trotzdem wäre eine nette kleine Pension nun genau das Richtige für uns. Nach über dreißig  geradelten Kilometern fängt unser Sitzfleisch allmählich an zu meutern. Ja, von wegen ! In Wernsdorf haben wir die Wahl zwischen einer Nobel-Absteige mit gesalzenen Preisen, aber hauseigenen Liegestühlen am See, oder einem halb verfallenen « Gasthaus zur Linde » an der Hauptstraße. Auch das triste Bungalow-Ferienzentrum « Germania » aus DDR-Zeiten lockt uns nicht.

ZWEI DAMEN AN DER DAHME

Nach fünfzehn weiteren heroisch geradelten Kilometern werden wir aber dann in Niederlehme fündig. Das Dorf heisst auf sorbisch Nižše Łomy. Wir werden noch viele zweisprachige Schilder im Spreewald finden, wo sich die Sorben – auch Wenden genannt – im 6. Jahrhundert ansiedelten. Auch heute leben noch 45.000 von ihnen. Ein winziges Schild an der Hauptstraße weist uns zum Gasthaus an der Dahme .

Fünf Minuten später stehen wir in einem einfachen, aber blitzsauberen Zweibettzimmer mit Fenstern, die  auf Linden und den Fluss hinausgehen. Zwar hat Mimis Laken ein Loch, in der Deckenbeleuchtung funktioniert nur eine Birne von dreien, und es gibt keine Verlängerungsschnur für die einzige Nachttischlampe. Wozu auch ? Es steht ja ein Fernseher da – nein, er thront geradezu überdimensional groß in diesem kleinen Zimmer. Wozu also lesen? Kostenpunkt für die ganze  Herrlichkeit mit Dusche und Toilette auf dem Flur : 21 € pro Person mit Frühstück.

Geduscht und erfrischt sitzen wir dann an einem Tisch direkt am Wasser mit Blick auf die vorbeiziehenden Hausboote, Schwäne und Enten. Wir bekommen ein köstliches Tagesgericht, das nicht auf der Speisekarte steht, nämlich Pfifferlinge mit Ei, Bratkartoffeln und Salat und das für ganze 8 € ! Hungrig fallen wir darüber her und geben keinen Pfifferling darauf, dass die auf dem Teller wahrscheinlich aus Polen oder Tschernobyl stammen. Wenn nur das Bier und der Potsdamer Radler ein wenig kühler wären! Es ist immer noch irrsinnig heiß –  die Luft ‘steht’ geradezu.

Während ich mir nach dem Essen eine Zigarette anzünde und wir einem Mann zuschauen, der in der Dahme ein Bad nimmt, verdüstert sich der Himmel zusehends. Eine halbe Stunde später zucken die ersten Blitze über die Dächer des Dorfes. Urplötzlich sehen wir die ungefähr dreihundert Meter entfernten Bäume wie ungläubig ihre Kronen schütteln, als ob sie den sich brüllend auf sie stürzenden Sturm, nein den Orkan, abwehren wollten. Es soll ihnen nichts nützen.

Alles rennet, rettet, flüchtet…

F. Schiller, Die Glocke

– wir haben gerade noch Zeit, in unserem Zimmer zu verschwinden, bevor es richtig losgeht. Trotzdem müssen wir zur unserer Schande gestehen, dass wir von dem  Jahrhundert-Unwetter (das Jahrhundert ist gerade mal zweieinhalb Jahre alt !) absolut nichts mitbekommen. Eine Nacht im Liegewagen plus sechsundvierzig geradelte Kilometer genügen, uns sofort in tiefen Schlaf fallen zu lassen.

Erst am nächsten Morgen, als die Sonne wieder so scheint, als ob nie etwas geschehen sei, erfahren wir durch die Nachrichten, was wirklich passierte in dieser Nacht. Wir hören von den armen Jugendlichen im Camping von Berlin und auf unser ganzen Fahrradtour werden wir an entwurzelten oder abgedrehten Bäumen vorbeikommen. Natürlich unterhalten wir uns über das Unwetter mit dem Inhaber des Gasthauses, der extra für uns geblieben ist. Er hat uns um halb neun ein üppiges Frühstück gerichtet und sagt:

 Es ist nur für Sie, denn eigentlich

mache ich erst um 11 Uhr auf

Das erstaunt mich nun doch sehr. Während wir uns durch vier verschiedenen Käse- und 6 (!) verschiedene Wurstsorten durcharbeiten, frage ich ihn ein bisschen aus, wie das Leben zwölf Jahre nach der Wende denn nun so sei. Er kommt aus Ost- Berlin und bis zur Umstellung auf den Euro konnte er eigentlich nicht klagen. Mit den ehemaligen Eisenbahnern, deren Heim dieses Gasthaus früher war, und mit der Laufkundschaft, “ die übers Wasser kommt „, hatte er genügend zu tun. Aber in diesem Jahr ist es ganz schlimm.

Die Leute überlegen sich dreimal, ob sie ihr Bier bei Aldi kaufen, um es zu Hause zu trinken oder ob sie zu ihm kommen. Es ist eben alles teurer geworden. Das Gas- und das E-Werk haben schon dreimal erhöht, er aber hat ganz brav seine Preise halbiert. Das schlechte Wetter im Frühjahr hat natürlich auch nicht gerade dazu beigetragen, den Umsatz zu heben. Auch wenn es am Sonntag meistens doch noch schön wurde, hatten oft die Leute schon anders vorgeplant. Und spontan sich zu etwas entscheiden? Nein, das geht nicht in Deutschland.

Obwohl  nach dem Unwetter die Sonne wieder scheint und die ganze Welt wie frisch gewaschen aussieht, grüßen uns die entgegenkommenden Leute nie. Unser Gruß wird auch nur knapp erwidert. Mimi fragt mich, ob die Brandenburger immer so stur seien und ich weiche diplomatisch auf das Wort « bedächtig » aus.

Die Landschaft ist schön abwechslungsreich und unsere Fahrradwege sind wirklich sehr angenehm, da sie uns vor den Autos schützen. Oft geht es auch auf Sandwegen durch eine Art Heidelandschaft durchsetzt mit Kiefernwäldchen, Teichen und kleinen Seen. In den kleinen Dörfern, durch die wir kommen, merken wir deutlich am nagelneuen Dach mit besonders schönen, wie gelackt aussehenden Ziegeln, nebst Fenstern, Türen und Putz, wem es finanziell gut geht und wem nicht. Aber beinahe alle haben die Gartenzwerge-Manie ! Schneewittchen samt Gefolge, Windmühlen, Störche, Rehe,, Meckis, Hunde, Schnecken, die an Hauswänden hinaufklettern (igitt) machen sich in den Vorgärten oder auf den Balkons breit.

Da das Unwetter die Luft deutlich abgekühlt hat, wollen wir mittags in der « Grauen Gans » von Selchow ein heiβes Süppchen essen. Zwei Frauen fegen vor dem Gasthaus die vom Sturm herunter gewehten Zweige zusammen. Wir fragen höflich, ob wir hier draußen etwas essen können und werden angeblafft:

Sie sehen doch, dass das hier noch nicht fertig ist!

Erst inner Dreiviertelstunde !

Nee, klar, es ist ja auch erst halb eins. Gänzlich verspielt haben wir aber dann bei ihr, als wir zu fragen wagen, was denn eine hausgemachte Soljanka sei. Die Strafe für so eine vorwitzige Frage, denn man hat hier offenbar alles zu kennen, sind zwanzig Minuten Warten auf zwei Getränke und auch die Suppe, die auch noch so sauer schmeckt wie wir es inzwischen sind ! Leider soll das nicht die letzte Begegnung mit dem Stil der ehemaligen DDR bleiben an diesem Tag.

Als wir nämlich am späten Nachmittag am Neuendorfer See vorbei nach Neu-Schadow kommen, sehen wir endlich das erste Schild « Ferienwohnung ». Dieselbe ist zwar belegt, aber deren nette Inhaberin rät uns zum nur 500 m weiter gelegenen Amalienhof   auf den allerdings wiederum kein einziges Schild im ganzen Ort hinweist. In Sachen Reklame sind sie hier offenbar « noch nicht soweit ». Das war der ständige Spruch bei unserer ersten Reise im Juli 1990.

Zwölf Jahre später radeln wir über die in der Abendsonne liegende Spree. Wir bekommen ein schönes großes Zimmer mit eben solchem Bad im neu umgebauten Hof, dessen Fitnessraum und Sauna uns voller Stolz gezeigt werden. Nun brauchen wir uns nur noch um unser Abendessen zu kümmern. Wir fahren durch den Ort (ohne Gepäck kommen uns die Räder leicht wie eine Feder vor!) bis zum Restaurant Seeblick . Der Blick von der Terrasse durch die Kiefern auf den See ist auch wirklich hoch romantisch. Das ist dann aber auch schon alles.

Mir schwant Fürchterliches, als ich zwei ältere Damen sehe, die ihre Teller abräumen und ihre Bestecke in die dafür in einer Ecke bereitgestellten Kästen schmettern. Tatsächlich sind wir in ein altes Ex-DDR Selbstbedienung-Restaurant geraten  – wobei die Bezeichnung ‘Restaurant’ sehr übertrieben ist. Zwar gibt es wohl einen Saal mit Tischen, Stühlen und einer Theke nebst einem Fräulein. Natürlich ist dieser Raum wegen des schönen Wetters völlig leer. Ich frage, ob das Fräulein hier bediene. Ungnädige Antwort:

Essen nebenan an der Ausgabe,

Getränke einen Raum weiter

Ich kann es mir nicht verkneifen, sie zu fragen, was sie denn hier nun genau mache. Logische Antwort, abends um sieben:

Ich bin für Kaffee und Kuchen zuständig

Nee, klar ! Gottergeben gehen wir um die Ecke und haben die Wahl zwischen den ewigen Zigeuner- und Jägerschnitzeln, Toast Hawaii oder Tiefkühl-Fischfilet mit Kartoffelsalat bzw. Bratkartoffeln. Letztere sind noch das Beste. In der nebenan gelegenen Bar bekommen wir zwar einen sehr anständigen Müller-Thurgau für zehn Euro die Flasche. Aber als ich nach einer kleinen Flasche Mineralwasser frage, gibt es schon wieder eine spitze Antwort:

Wir sind kein Fünf-Sterne Betrieb,

wir haben nur große Flaschen zu zwei Euro achtzig

Wir haben wirklich den Eindruck, zu stören. Sie sollten hier ein Schild anbringen: « Gäste nur zur Bewunderung der Aussicht erwünscht » !

Am nächsten Morgen lacht die Sonne , die Linden duften, reifes Korn und blaue Wegwarte grüßen. Ich fühle mich so beschwingt, dass ich anfange zu singen. Ab Neu-Lübbenau nehmen die Gartenzwerge deutlich ab und lächelnde Menschen deutlich zu. Leider allerdings auch die Autos, die uns mit Krach und Gestank überholen. Mireille staunt über die blitzblank gewaschenen Mittel- bzw. Oberklasse-Wagen, alle mit hiesiger Nummer. Also so schlecht geht es den Menschen zwölf Jahre « danach » nicht.

Wir bewundern den gemalten Wolkenhimmel der herrlichen Fachwerkkirche von Schlepzig. Dies soll die einzige Kirche bleiben, in die wir während der ganzen Fahrt hineinkommen werden. Es stehen zwar überall einladende Schilder offene Kirche davor, aber dann sind sie eben doch geschlossen. Manchmal sind sie während zwei Stunden am Tag geöffnet, aber garantiert nie dann, wenn wir hinein möchten.

Weiter geht’s, den sehr lehrreichen « Buchenhainlehrpfad » erforschen und zum ersten Mal müssen wir uns der Mücken erwehren. Aber herrlich kühl und still ist es hier. Ganz im Gegensatz zum Dorf, wo vor jeder Bäckerei schnatternde Gruppen mampfender, dicker Leute stehen. Besonders schlimm sieht es aus, wenn sie eng anliegende Radlerhosen, gelbe Radlerbrillen, Lederhandschuhe – bitte mit Löchern! – und höchst kleidsame Helme aufhaben. Daneben wirken wir natürlich höchst amateurhaft, wie wir so an den vier Teichen, die neben der Spree in den letzten Jahren angelegt wurden, entlang radeln. Es ist ein Paradies für Reiher, Fischotter, Schwäne und alle Arten von Enten.

Wir fahren weiter bis nach Lübben.Die Besichtigung sparen wir uns für ein anderes Mal auf, so unangenehm sind uns der Krach und der Gestank der Autos. Man gewöhnt sich so schnell an die Stille ! Hier müssen wir  nun unbedingt etwas essen. Gottseidank sehe ich gegenüber eine Bäckerei. Ach nein, es ist gar keine Bäckerei, es ist ein « Back-Shop », denn auch hier hat leider das grässliche „Denglisch“ seinen Einzug gehalten:

It is öd to be blöd

Neben dem « Sun Flirt » Sonnenstudio gibt es einen « Scene-Shop », was immer das heißen soll. Die Leute, denen wir begegnen, sprechen dagegen noch ganz normal deutsch, ohne jeden Satz mit Anglizismen zu spicken. Meine Unterschriftensammlung für den  Verein Deutscher Sprache, der gegen diese Unsitte protestiert, wird überall freudig bereichert.

Zurück zur Bäckerei: in Frankreich kann ich Kuchen sehr gut widerstehen – in Deutschland nie !  Also schwelgen wir heute in Kirschstreuselkuchen, Mohnkuchen und einer ganz besonders leckeren Eierschecke, einer Art Käse-Quarkkuchen. Zum Niederknien!

Nach einer originellen Siesta an einem wunderbaren Birkenweg, radeln wir auf dem Nordumfluter dem Herz des Spreewalds entgegen. Am Abend sind wir in Alt-Zauche, wo ich, dank meiner Cousine Uta, ein Zimmer für zwei Nächte bei Familie Dorandt vorbestellt habe.

Es ist ein schmucker Hof mit Haupthaus, Neben- und Stallgebäuden, Garage, Gewächshaus und einer riesigen Scheune. Der Rasen ist gepflegt, viele Geranien überranken die Veranda. Es fehlt weder der ein „Willkommen“-Schild tragende Gartenzwerg noch – man glaubt es kaum – die Hollywoodschaukel. Da steht es, das alte Sofa aus der Wirtschaftswunderzeit mit dem fein säuberlich in der Mitte geknickten Kissen. Wir beziehen für zwei Nächte das ehemalige Elternschlafzimmer. Später essen wir im Hof des einzigen Gasthauses am Ort köstliche Spezialitäten des Spreewalds: Grützwurst mit Sauerkraut, Bratkartoffeln und Bohnensalat für Mimi und gekochten Schlei mit der berühmten Spreewälder Soße für mich. Ausgesprochen lecker ! Und ein Storch guckt uns zu, noch dazu auf einem Bein stehend.

Am nächsten Morgen haben wir radel frei und trödeln einfach nur so rum. Dann lässt uns Herr Dorandt, unser Gondolier, für drei Stunden in seinen flachen Kahn einsteigen und ergreift das Ruder seines Eschenkahns.  Wir haben einige Skrupel, den Mann nur für uns alleine arbeiten zu lassen. Doch wir begreifen, dass unsere zwanzig Euro für ihn besser sind als nichts, denn die Feriengäste, sagt er, sind seit der Umstellung auf den Euro entschieden weniger geworden.

Während unser Fährmann stakt, macht er uns auf die wunderschönen, nur hier lebenden blauen Libellen aufmerksam. Er erklärt uns auch den Unterschied zwischen dem angepflanzten Erlen-Hochwald und dem unordentlich wild gewachsenen Niederwald. Wir genießen das Vogelgezwitscher und er sagt: 

Nur bis zum 20. Juli, dann haben sie die Brut erzogen

und erholen sich bis zum großen Flug

Es gibt immer wieder neue Ausblicke in das Grün der Farne, der Wasserlilien, der Eichen, Eschen, Erlen und Ulmen, die sich im Wasser spiegeln. Einzigartig ! Ah, da kommt eine Schleuse. Ein Steppke von ungefähr vierzehn baut sich vor uns auf, bittet um unsere  geschätzte Aufmerksamkeit , und rasselt, Ring im Ohr, locker vom Hocker sein Sprüchlein runter:

Ick bin ‘ne arme Sau und habe keene Frau,
Drum stehe ick anne Schleuse
Und mach mir ein paar Mäuse.
Schleusenarbeit fällt mir schwer,
Darum gebt mir etwas mehr ! 

Wir lachen uns schlapp und ich hole zwei französische Fünfzig-Cents-Stücke raus. Sein Kommentar – ganz tief aus dem Bauch ‘raus – « Cooool »!

Weiter geht es, am Bilderbuch- Försterhaus vorbei über die Flieβe, das sind Nebenarme der Spree. Wir kreuzen Paddelboote, in denen junge Leute mit Walkman auf dem Kopf sitzen und brechend volle Kähne, wo die Bierflaschen auf den Tischen stehen und kreisen. Gleich darauf ist es aber wieder still um uns herum und wir genießen diesen Luxus.

Unser Fährmann erzählt uns von dem schlimmen Winter 96/97, wo alle Fließe zehn Meter tief zugefroren waren und alle Fische starben. Und von den Störchen, die nur auf eine abgemähte, kurz gehaltene Wiese zum Fressen gehen. Sie ziehen höchstens vier Jungtiere auf und werfen sie dann unerbittlich aus dem Nest, wenn es mit der Futterbeschaffung mal nicht so klappt.

Als wir nach diesen herrlichen und instruktiven Stunden wieder anlegen, zieht es drohend schwarz auf und wir erreichen mit Mühe und Not den rettenden Hof, bevor ein heftiges Gewitter runtergeht. Da ergreifen wir die Gelegenheit, einen langen gemütlichen Schwatz mit der Hausherrin zu halten. Daraus geht hervor, dass es ihnen zu DDR-Zeiten wirklich besser ging !

Sie verdienten beide, er als Schlosser, sie als Kindergärtnerin. Trotzdem reichte das Geld nicht und sie waren froh, dass der Hof ein Zubrot abwarf. Das hieß allerdings auch um fünf Uhr morgens raus den Federn, das Vieh versorgen und bis vier Uhr nachmittags im Beruf arbeiten. Danach einen Kaffee und dann ging es weiter, um Feld und Garten zu bestellen sowie noch einmal das Vieh zu versorgen. Auch damals vermieteten sie schon an Sommergäste – das kam also noch dazu als Arbeit.

Dann kam die Wende. Er wurde arbeitslos, aber wenigstens seine Arbeitsjahre wurden für die Rente angerechnet. Ihre nicht. Das ist total ungerecht.

Wenn man alles abbucht, die Versicherungen, den TÜV,

durch den früher unser Kahn nicht durch musste, das Gas, den Strom, das Telefon, die Zeitung und so weiter, dann bleibt nichts mehr.

Im Oktober fahren wir, weil es ein Sonderangebot ist, eine Woche an die Masurische Seenplatte.

Vor Kurzem war sie zu Besuch im Osten Berlins. Sie weiß nur zu berichten, wie viel schmutziger es da jetzt aussehe als zu DDR-Zeiten. Hingegen von einer Russlandreise erzählt sie mit leuchtenden Augen, wie sauber es da gewesen sei und dass die Jungs abends im Anzug, mit weißem Hemd und Schlips ausgegangen seien.

Weiter geht’s. Die « pfiffige Pfeffergurkenmimi », von mir so getauft, folgt nicht nur mir sondern vor allem « Schnurps », der lustigen Spreewald-Gurke auf den Shcildern, die uns heil bis nach Burg führen. Der Boden dampft, die Luft ist herrlich erquickend. Unsere Beine radeln wie von alleine ! Wir sehen ein Reh äsen und einen ‘Gurkenflieger’.

Erntestart bei Spreewälder Gurken 2018 - Regionalförderung & Dachmarke  Spreewald

Das ist eine Art überdimensionaler Doppeldecker, dessen Körper in der Mitte ein Trecker ist und in dessen Flügel die Menschen liegen, um die Gurken per Hand zu pflücken. Das ist beinharte Arbeit. Ich verspreche mir, nie mehr zu meckern, dass mir die Gewürzgurken zu teuer sind.

Die vierundzwanzig Kilometer nach Burg schaffen wir spielend und kommen gerade vor dem « Bahnhofsrestaurant » an, als es richtig zu schütten beginnt. Dort wird uns das Bier und der Apfelsaft lustig von einem kleinen, ferngesteuerten Zug serviert.

Wir finden relativ schnell ein Quartier, sind allerdings entsetzt über die Menschenmassen, die sich zur Schunkelmusik auf dem Spreewaldmarkt verlustieren. Bloß weg ! Verschlafen wir also den verregneten Nachmittag und gehen erst abends durch das nun ruhige Städtchen auf die Suche nach einem hübschen Restaurant. Und wir werden auch belohnt: zur Feier des 14. Juli, des französischen Nationalfeiertages, lassen wir uns in dem sehr feinen Landhotel Burg ein wunderbares Zanderfilet mit Krebsschwänzen munden. Es lebe die deutsche Küche et la cuisine française !

Am nächsten Morgen versuche ich, mit der Frau, die uns das Frühstück serviert, ein bisschen zu schwatzen, aber es ist, als ob ihr das peinlich sei. Lobe ich die wunderschönen neuen Dächer, die man allseits bewundern kann, kommt als trockener Kommentar:

Die haben sich alle übernommen

Auf meine Frage, wo es eine Fahrradwerkstatt gibt, kommt spitz:

Die Kirche steht meistens neben dem Marktplatz

Nett ist anders. Die Ausnahme macht ein Mann, der auf seinem Rad neben uns an der Bahnschranke wartet, und der ganz offensichtlich mit uns reden möchte. Er macht seine Stadt, Vetschen, nach Strich und Faden runter (zu Recht, wie sich herausstellen wird). Er klagt, dass ein Kernkraftwerk mit siebentausend Arbeitern geschlossen habe und dass daher die Arbeitslosigkeit bei 20% läge. Seine Jungs seien gleich nach der Wende stiften gegangen und hätten auch in den alten Ländern sofort Arbeit gefunden.

Um etwas Positives zu sagen, lobe ich einmal mehr die schönen Dächer, Türen und Fenster der Häuser, denn das ist es wirklich, was uns überall ins Auge sticht. Doch auch er winkt nur müde ab, es sei ja alles nur auf Kredit.

Wir fahren über eine wundervolle Birkenallee, an der Leipe entlang, nach Lübbenau.

Spreewald Day Trip From Berlin: How to Visit Lübbenau - Berlin Travel Tips

Das ist ein besonders hübsches Städtchen! Kein Wunder, dass es das Herz des Spreewalds sein soll. Vor Jahren waren wir schon einmal hier. Wir kamen per Auto aus Berlin, machten eine Kahnfahrt schworen, wieder zu kommen. So sitzen wir sehr stolz auf unseren Rädern, zumal ich geradezu profihaft nun auch noch einen höchst praktischen Kartenhalter vorne drauf habe.

Leider sind die Hotels alle voll, obwohl es doch Wochenanfang ist. Wir werden daher in den Stadtteil Zenkwick geschickt. Mit einem Mal befinden wir uns im realen, schockierend hässlichen Sozialismus-Bau, der nichts mit dem schnuckeligen Städtchen Lübbenau gemeinsam hat ! Der Gegensatz zwischen diesen Gebäuden und einem gewachsenen Stadtbild, wie im alten Teil, auf so engem Raum, ist sehr brutal. Beim Abendessen sprechen wir darüber, wie viel Glück wir haben, jede in einer harmonischen Umgebung leben zu dürfen.

Am nächsten Morgen radeln wir in das idyllische Dorf Lehde, sehen uns das dortige Gurkenmuseum an und werden über den Meerrettichanbau aufgeklärt. Wir kaufen Pflaumenlikör, Senfgurken und Meerrettich als Mitbringsel und machen uns auf den Rückweg an der Spree entlang. Vor einem Jahr habe ich in Ulm einen Kilometerzähler für mein Rad gekauft und heute ist der große Augenblick da: wir haben die ersten tausend Kilometer voll !

Die Landschaft ändert sich allmählich, große Kornfelder wechseln ab mit Kiefernwäldern. In Goyatz erwartet uns unser Waterloo: es ist alles voll ! Kein Zimmer, keine Ferienwohnung, nix. Etwas verzweifelt wenden wir uns an die Besitzerin eines Blumenladens. Da erleben wir zum ersten Mal, seitdem wir hier im Spreewald sind, wirkliche Solidarität. Diese Dame ruft erst eine und dann noch eine Freundin zu Hilfe und gibt keine Ruhe, bevor sie für uns nicht doch noch im Yachtclub-Haus von Jessern ein Zimmer findet. Fabelhaft! Wir bedanken uns überschwänglich bei ihr, radeln müde, aber entschlossen los und kommen auch gerade noch vor dem Regen an.

Von nun an wird das Wetter leider immer mieser. Wir müssen dauernd Regenpausen einlegen. Dennoch sind wir abends trotz allem am Etappenziel, dem hübschen Städtchen Beeskow.

Der Himmel tut auf einmal so, als könne er kein Wässerchen trüben. Wir essen zum letzten Mal auf dieser Fahrt im Freien. In einem sehr schönen italienischen Restaurant bzw. auf dessen Terrasse, genau gegenüber dem imposanten Dom St. Marien.  Der junge Wirt ist richtig nett und spendiert uns, wohl weil er uns französisch reden hört und an die ausländische Klientel denkt, einen Grappa. Der und eine köstliche Thunfisch-Pasta söhnen uns mit diesem regenreichen Tag wieder aus.

Der letzte Morgen unserer Tour bricht an. Heute Abend werden wir schon bei Freund Sherlock in Berlin sein und wir freuen uns beide darauf. Davor hat der Wettergott allerdings noch den Wind gesetzt, der natürlich immer von vorne kommt. Das ist bei fast sechzig Kilometern, die wir vor uns haben, nicht so lustig.

Zur Belohnung bekommen wir eine gratis Vorstellung der Segelflieger von Königswusterhausen, die dort in der Nähe proben. Das ist wiederum so schön, dass wir uns überlegen, ob wir demnächst nicht vom Rad auf diese gleitenden Schwingen umsteigen sollten. Andererseits sind die Piloten immer von den Menschen, die unten bleiben und sie erst weg katapultieren und dann wieder einsammeln müssen, abhängig. Also bleiben wir doch lieber bei den « Rädern, die gar nicht gerne stille stehen » und fahren fröhlich und zufrieden unserem Berliner Bären entgegen.  

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