Als die Rechnung kommt, bekomme ich doch einen leichten Schreck! Wir haben für 10 Millionen zu Abend gegessen! Mireille, die mich netterweise eingeladen hat, lacht: „Du hast ja schon für eine Million Vorspeisen verdrückt! Darf ich dich aber daran erinnern, dass das gerade mal 25 Francs bzw. 7 Mark ausmacht?“ Stimmt. Also haben wir zu zweit für die köstlichen « Meze », nämlich gefüllte Weinblätter, Auberginen, Salat, Krabben, Gurken, Joghurt, sowie den gegrillten Fisch, die Lammfleisch- bällchen und den türkischen Weißwein gerade mal 70 Mark bezahlt.
Doch wenn man kein Schweizer ist, muss man sich an diese vielen Nullen wirklich erst gewöhnen. Als wir nämlich mittags in der heißen Sonne vor dem Harem des Sultanpalastes darauf warten, eingelassen zu werden – denn dort hinein darf man jetzt nur mit einer Führung – spreche ich ein ebenfalls wartendes Ehepaar neben mir auf Französisch an, da die beiden sich in dieser Sprache unterhalten. Ich frage sie, ob und wie sie mit dem Umrechnen zurechtkommen und der Herr zieht liebenswürdig eine Liste aus einer Tasche, auf der er peinlich korrekt notiert hat, wie viel türkische Lira 1, 10, 100 oder 200 Schweizer Franken sind ! Ich habe Mühe, mir das Lachen zu verbeißen, bedanke mich aber höflich und muss nun die genannten Summen ‘nur’ noch durch vier teilen, um auf den französischen Franc zu kommen.
Gestern Nacht, oder besser heute am sehr frühen Morgen, als wir in Istanbul ankamen, war es unmöglich, diese Überlegungen anzustellen. Die einzige Unannehmlichkeit dieser Kurzreise, die wir zu einem Vorzugs- preis über Ostern bekommen haben, ist der, dass wir erst um 22 Uhr in Paris abfliegen durften. Da man bei Charterflügen immer sehr früh am Flughafen sein muss, fuhren wir schon um 19 Uhr von zu Hause los. Mit der einstündigen Zeitverschiebung der Türkei war es vier Uhr morgens, als wir endlich in unseren Hotelbetten lagen, was acht Stunden Reise für einen nur dreistündigen Flug bedeutet.
Der Muezzin ruft, nein SCHREIT über Lautsprecher, die die gesamte Altstadt beschallen, zum ersten Mal um fünf Uhr morgens zum Gebet! Hübsch. Glücklicherweise, Allah sei Dank, waren wir vorgewarnt worden und hatten uns Ohrenstopfer mitgenommen. Da es hier aber sogar nachts schon siebzehn Grad warm ist, schlafen wir natürlich bei offenem Fenster. Daher dringt leider der ohrenbetäubende Krach der Busse, die vor unserem Hotel parken, sowie dem der Taxen vom Stand gleich gegenüber, doch durch.
Unser Zimmer ist klein, aber mit Fernseher und Minibar ausgestattet und hat ein mit Plastikkacheln ‘marmoriertes’ Bad. Jetzt, im Frühjahr, ist noch genügend Wasser vorhanden, so dass wir ohne Problem duschen können. Leider ist aber die Toilette eine mehr als heikle Angelegenheit in diesem Land. Sogar in einem 3-Sterne-Hotel der ‘heimlichen Hauptstadt’ wird neben der Rolle Toilettenpapier in VIER Sprachen darum gebeten, das gebrauchte (!!) Papier nicht hinunter zu spülen, sondern in einen daneben stehenden Plastikbehälter zu werfen. Derselbe werde vom Zimmermädchen entsorgt. Das muss ein entzückender Job sein im Sommer, wenn die Hitze alle Gerüche verzehnfacht…
Der Preis für diesen Luxus sind immerhin stolze 155 Mark die Nacht, Frühstück allerdings inklusive und dasselbe ist für ein südliches Land einfach fabelhaft. Es gibt nämlich ein Buffet mit Orangensaft, Tee, Kaffee, Honig, Marmelade aber auch harten Eiern, Feta, Gurken- und Tomaten-Stückchen, schwarzen und grünen Oliven, sowie Pellkartoffeln! Bis auf letztere haben wir von allem genommen und so kann das Mittagessen ruhig ausfallen.
Um neun Uhr morgens stehen wir schon auf der Straße, übernächtigt zwar, aber fest entschlossen, das Beste aus dem Tag zu machen. Dabei hilft es, dass wir, zum ersten Mal seit Monaten, Pullover und Parka im Hotel lassen können, denn obwohl es noch bedeckt ist, reichen T-Shirt und Wolljacke aus, so warm ist schon. Auf dem Weg zur ‘Blauen Moschee’ drängt sich mir sofort der Vergleich mit Athen auf: schmucklose Neubauten als Geschäftshäuser und vor diesen Läden, die oft so weit auf den Bürgersteig ausufern, dass wir kaum Platz haben, uns daran vorbei zu quetschen, nur Männer, die ihre Ware anpreisen, ganz egal ob es sich um Haushaltswaren oder Berge von Büstenhaltern und Schlüpfern von respektablen Ausmaßen handelt.


Wir kommen an der Universität und dem Muezzin-Turm vorbei und lassen den Großen Basar links liegen, da er wegen des vier Tage dauernden « Lammfestes » bis Montagmorgen geschlossen ist. Aus demselben Grund ist die Stadt fast leer und wir bummeln weiter, ohne von viel Verkehr gestört zu werden.
Männer lächeln uns freundlich an. Einige versuchen, für das von ihnen gehortete Kleingeld uns französische Banknoten zu entlocken, lassen uns aber sehr schnell in Ruhe, da wir nicht reagieren. Sie sind entschie-den weniger aufdringlich als in Nordafrika! Die Frauen sind nur in geringer Anzahl vertreten und teilen sich in zwei Kategorien ein: die Strenggläubige, total in schwarz mit Tchador gekleidete, und die moderne Türkin, die sich modisch mit Jeans oder engem Rock kleidet, auf der Straße raucht und ein Handy trägt. Beide sind in der Minderheit. Dann gibt es noch die „normalen“ Frauen, die weite Mäntel in merkwürdig toten, undefinierbaren Farben wie grau-beige, graublau oder staubrosa tragen, und natürlich Kopftuch. Mi hatte vor zehn Jahren, als sie zum letzten Mal hier war, noch überhaupt keine der ‘modernen’ gesehen. Immerhin ein Fortschritt.

Die Blaue Moschee begeistert uns durch ihre helle Weite! Das mitgebrachte Kopftuch brauchen wir nicht einmal umzutun, müssen allerdings unsere Schuhe in extra dafür bereitgestellte Plastiktaschen legen und mit uns während der Besichtigung herumtragen. Nichts für empfindliche Nasen!


In der Hagia Sophia dagegen, unserem nächsten Ziel, müssen wir Eintritt zahlen und durch eine strenge elektronische Kontrolle, wie beim Flughafen, gehen. Sie ist das genaue Gegenteil der Blauen Moschee, byzantinische Pracht, beeindruckend schön aber kalt.


Nach diesen beiden Besuchen kommen wir zum türkischen Versailles, dem Topkapi-Palast. Die gewaltige Anlage mit ihren drei verschiedenen Toren und Innenhöfen ist besonders schön zu dieser Jahreszeit, wo sich Gänseblümchen-Teppiche unter den mit hellem Grün geschmückten Platanen und Kastanien breit machen. Sie heben sich lieblich als reizvoller Kontrast gegen das strenge Dunkelgrün der Zypressen und der Kiefern ab.

Die Führung durch den Harem, der vierhundert Säle umfasst, von denen wir aber nur vierzig sehen dürfen, ist hochinteressant. Wir bekommen einen völlig anderen Eindruck vom Leben der Eunuchen, die immer schwarz sein mussten, um einen (merkwürdigerweise doch möglichen?) Fehltritt sofort zu entdecken und unschädlich machen zu können. Wir hören von der allgewaltigen Mutter des Sultans, die intrigieren musste, da immer nur ein Sohn Kronprinz werden konnte. Sie schreckte auch vor Mord nicht zurück, wenn sie damit den Zerfall des Reiches aufhalten konnte. Die Haremsdamen hatten gar kein schönes Leben und mußten ihrem Herrn und Meister hinterherrennen, wenn dieser an Festtagen neckisch Geldmünzen in die Ecken der Säle schmiss und sie dann Ostereiersuchen spielen durften…
Hochzufrieden mit diesem Besuch, wenn auch erschöpft, lassen wir uns auf der Terrasse des Sultans mit wunderbarer Aussicht auf den Bosporus nieder, und genehmigen uns – wie er sicher früher auch – eine Auswahl süßer einheimischer Köstlichkeiten. So gestärkt, gehen wir eine gute Viertelstunde zurück bis zum Eingangstor, durch welches dazumal nur der Sultan reiten durfte.

Es ist inzwischen fast vier Uhr nachmittags und richtig heiß geworden. Daher ist die geheimnisvolle Kühle der « Römischen Zisterne », wo das Licht so geheimnisvoll mit dem Wasser zwischen 336 Säulen spielt, die reine Erholung.

Welch ein Kontrast hingegen dann der Hafen, den wir nach zwanzig weiteren Minuten Fußmarsch erreichen ! Wir stehen an dem berühmten « Goldenen Horn » mit dem Rücken zur Altstadt und blicken auf die andere, die euro- päische Seite. Ich habe im Allgemeinen einen guten Orientierungssinn, aber sogar ich habe etwas Mühe, mich zwischen dem Bosporus, dem Marmarameer und dem Goldenen Horn zurecht zu finden – zu Mimis großer Freude (denn sonst ist nämlich IHR Orientierungssinn nicht immer der beste).
Welch ein Gewimmel auf dem Wasser ! Die Fähren und großen Ausflugsschiffe, außerdem die am Kai fest gezogenen kleinen Dschunken, auf denen Makrelen auf riesigen Rosten gebraten werden. Sobald sie gar sind, steckt der Fischer sie mit Tomaten und Zwiebelscheiben in ein Brötchen und auf das so entstandene Sandwich kann sich dann der Käufer noch Zitronensaft und Salz tun.

Ich habe natürlich sofort Lust, das auszuprobieren, aber inzwischen ist es schon sechs Uhr und Mi will mich heute Abend zum Essen einladen. Also verkneife ich mir den Spaß. Wir bahnen uns einen Weg durch die Menge, die zum Teil aus fliegenden Händlern besteht, die hier und auf der Galata-Brücke alles Mögliche zu essen und trinken anbieten : grüne Gurken, die – geschält oder nicht – mit etwas Salz gegessen werden, sowie Sesamkringel, welche mit Gestellen auf Kopf und Schultern balanciert werden, Apfeltee und Wasser. Das Wasser wird von Männern mit großen Behältern auf dem Rücken direkt in die Gläser der Kunden gegossen, indem sie in die Knie gehen und sich nach vorne beugen. Wir sehen uns allerdings sehr vor mit Obst, Salat und Wasser, denn bei den hiesigen Toiletten-Verhältnissen wäre eine « Turista » desaströs!
Auf der anderen Seite der Galata-Brücke zeigt das große Thermometer sechsundzwanzig Grad an. Wir sind langsam etwas müde und möchten die Straβenbahn nehmen, die hier Tünel heißt, um uns den Anstieg auf den Hügel zu ersparen. Leider ist sie kaputt und wir fahren gratis, das heißt schwarz, mit einem Bus hinauf zum sogenannten europäischen Viertel. Dort wandern wir weiter durch die Straßen und suchen nach einem ganz bestimmten Restaurant, das uns empfohlen wurde. In dieser Gegend der Stadt sieht es ein bisschen wie in Budapest aus. Schöne alte Häuser aus dem 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, die aber leider total heruntergekommen sind und in denen Geschäfte, Restaurants und manchmal Konsulate untergebracht sind.
Wir versuchen, uns durchzufragen, aber erstaunlicherweise sprechen die Einheimischen hier – außer im Großen Basar, wo fast alle Händler dreisprachig sind! – kaum eine Fremdsprache. Sogar die ‚Polis‘ schickt uns in die verkehrte Richtung, denn hier will niemand das Gesicht verlieren! Aber dickschädelig wie ich nun mal bin, schaffen wir es doch und so kommen wir zu unserem ersten köstlichen Diner im Gartenrestaurant für zehn Millionen.
Der Ostersonntagmorgen ist mit Festtagswetter angebrochen! Um zehn Uhr morgens haben wir schon die Besichtigung der Sulimani-Moschee hinter uns und schlendern durch die kleinen Gassen des ‘Tekstil’ Marktes zum Hafen. Auch hier verkaufen wieder nur Männer anderen Männern alles vom Kinderkleidchen bis zu den Vorhängen. Mireille möchte mit einem Schiff das Goldene Horn hinauffahren, aber wir finden keins bis auf eine Jolle mit einem Türken, der uns für eine Million einschiffen will. Er erscheint uns wenig Vertrauen erweckend und so gehen wir weiter, bis wir auf eine junge Türkin stoßen, die in deutscher Sprache die Nachzügler einer Gruppe an Bord eines hübschen Schiffes scheucht. Sie fragt uns, ob wir für zwei Millionen, also für vierzehn Mark eine Bosporus- Fahrt mitmachen wollen. Aber immer – ahoi !

Und so kommt es, dass wir erst um 17 Uhr mit leichtem Sonnenbrand, aber richtig glücklich nach dieser vierstündigen Kreuzfahrt, die uns fast bis ans Schwarze Meer führte, wieder an der Galata-Brücke anlegen. Wir haben den Tag wirklich sehr genossen. Wir mussten weder stundenlange Erklärungen noch kreischende Musik, wie sie von anderen Schiffen zu uns herübertönte, ertragen. Frau Caracas und ihr Mann erklären nur das Nötigste, geben allerdings sehr bereitwillig auf Fragen Antwort und wir haben einen guten Kontakt zueinander. So können wir einfach nur die Landschaft genießen, bekommen Apfeltee oder andere Getränke serviert und lassen es uns gut gehen.

Die Umgebung Istanbuls mutet fast toskanisch an. Wir sehen viele schöne Villen. Die einzigen Scheußlich- keiten sind die modernen Hotels, die hier am Ufer des Bosporus – außerhalb der Reichweite der Muezzinrufe! – wie Nesseln aus dem Boden schießen. Die Ausnahme macht nur das sehr eindrucksvolle Kempinski. In Anadolu Kavagy, dem Ziel unserer Fahrt, stürzen sich die Deutschen auf die dort wirklich sehr preiswerten Fischmenüs. Wir ziehen es vor, trotz der Hitze zu den Burgruinen hinauf zu laufen, von wo wir einen herrlichen Ausblick auf ein Pferd, einen Esel, diverse Kühe, den Bosporus, das Schwarze Meer sowie picknickende Türken haben.

Wieder in der Stadt angekommen, besteigen wir den Galataturm und ich fröne meiner Leidenschaft, Panoramafotos zu schießen. Ich mag es nun einmal, eine Stadt von oben zu überblicken und so unsere Wege noch einmal zu verfolgen. Danach fahren wir für etwas weniger als eine Mark mit einem einheimischen Bus nach Ortakoy, einem Vorort, den wir von unserem Schiff aus heute Vormittag ausgeguckt hatten. Man soll dort sehr nett essen können.

Na, hier ist ja vielleicht was los! Wir haben das Gefühl, dass mindestens die Hälfte der Bewohner von Istanbul heute hier feiert. Die Jugendlichen haben offenbar ihr Hauptquartier am Ufer des Bosporus aufgeschlagen, picknicken oder schlendern wie wir an den Ständen des Flohmarktes – der hier von Frauen abgehalten wird! – vorbei. Es ist ein Gewusel wie auf dem Oktoberfest. In einer kleinen Fressgasse finden wir etwas sehr Originelles: links ungefähr zehn Stände mit salzigen Crêpes, die man sich nach Lust und Laune füllen lassen kann und auf der rechten Seite dasselbe Prinzip, diesmal allerdings mit Kartoffeln. Selbige sind wirklich riesig, werden mit der Schale gekocht, längs aufgeschlitzt und dann wird das Innere der Kartoffel mit flinken, gezielten Bewegungen zu Brei verarbeitet. Darauf kommt dann als Füllung ein Esslöffel Erbsen, einer mit Champignons, Rotkohl, klein geschnittener Eselswurst, noch ein halbes Dutzend anderer Gemüse bis der Riesenberg – von Ketchup und Mayo gekrönt – mit Serviette und Plastiklöffel für ganze vier Mark an den hungrigen Käufer übergeben wird.
Wir haben zwar große Mühe, zu widerstehen, wollen uns aber den Appetit nicht verderben, denn wir ziehen ein gesetztes Essen in einem der Terrassen-Restaurants vor. Als Nachtisch ist der Blick von der Brücke über den nächtlichen Bosporus, gekrönt von der milchigen Scheibe des Vollmonds, mehr wert als alle Pfirsich-Melba. Und dann schlägt auch noch Mimis Stunde, weil der Taxifahrer nicht lesen kann! Als ich ihn anhalten lasse, weil er uns kreuz und quer durch die Stadt kutschiert, findet Mi den richtigen Weg zum Hotel zurück, was in der Altstadt gar nicht einfach ist, und sie ist zu Recht stolz.
Am Montagmorgen zeigt uns die Stadt ihr Alltagsgesicht. Die Straßen sind überfüllt mit stinkenden Mopeds, hupenden Autos, Lastwagen, Bussen, Eselskarren… Wir sehen uns zuerst die älteste Moschee der Stadt an – Simon oder Süleumanyie-Moschee – und müssen dort auch tatsächlich ein Kopftuch umbinden. Der alte Mann, der uns brummig die Tür aufmacht, ist noch brummiger, als er nur Kleingeld und keine Scheine von uns bekommt. Wäre er eben ein bisschen freundlicher gewesen.

Wir laufen durch die Straßen und nehmen eine wundervoll erfrischende gepresste Orange zur Brust, bevor wir uns stundenlang im « Grand Basar » ergehen, von dem wir in unser Flugzeug eine Prise dessen mitnehmen, was ihn so einmalig macht, nämlich die Gewürze. Curry und Safran, Pfeffer und Kurkuma, Koriander und Paprika duften in unseren Taschen um die Wette und werden uns noch lange an diese auf- und anregende Kurzreise erinnern.

WAS BLEIBT: Die blaue Moschee, die Schiffahrt und das Abendessen bei Vollmond.