AUSNAHMSWEISE EIN VORWORT
Wir schreiben den 8. April 2020 und ich sitze in meinem Refugium in Saint-Maur-des-Fossés, ca. 20 Kilometer östlich von Paris, das ich vor genau zwanzig Jahren kaufte. Meine Freundin Mireille hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass in ihrem Mietshaus (hinter dem sie ein kleines Häuschen mit Terrasse und Garten bewohnt) eine „Studette“ von 10,5 qm frei würde. Und da ich eine Fluchtmöglichkeit aus dem im Sommer schon damals oft unerträglich heiβen Paris suchte, schlug ich sofort zu. So ein „Klein- aber- mein“-Paradies nennt man hierzulande ein „pied à terre“, das heiβt, „einen Fuβ am Boden“. Und genau den kann ich aufsetzen, wenn ich aus meinem Hochbett steige, denn mit ausgebreiteten Armen stoβe ich locker an die Mauern.


Aber ich habe hier alles, was ich brauche: einen Schreibtisch unter dem Bett welches tagsüber hoch an die Decke geschoben wird, Bücherwand und TV-Box mit Internet und Telefon. Hinter dem Vorhang gibt es eine Miniküche mit zwei Kochplatten, Kleider- und Eisschrank und ein Duschbad mit Blick in den Garten, den ich ebenfalls seit 20 Jahren hege und pflege. Wie auf dem Foto wird er zwar erst im Juni aussehen aber alles, was zu sehen ist (auβer den Bäumen im Hintergrund) habe ich tatsächlich selber gepflanzt und freue mich jeden Tag dran

Nach vorne hinaus geht der Blick auf den nun verwaisten Kastanienplatz. Die Boulespieler, die sich hier bei Wind und Wetter vergnügen, haben genau wie wir Ausgangssperre!

Wir dürfen nur in den Geschäften rund um den Platz einkaufen, aber auch da haben wir Glück: ein Bäcker, zwei Krämer, ein Schlachter und eine Apotheke – alles da! Und deswegen kamen wir vom Roissy-Flughafen am 26. März stracks hierhin zurück, nach einer sehr abenteuerlichen Reise.
NOPOLO
Man kann es drehen und wenden, wie man will: diese langen Flugreisen – von Paris nach Los Angeles und von dort nach LORETO – sind immer anstrengend obwohl wir wegen Corona in beiden Flugzeugen genügend Platz für unsere Beine hatten. Nach 14 Monaten „Gelbwesten“ , drei Monaten Streiks wegen Macrons Rentenreform und dem Virus seit Ende Januar sind die Flugzeuge zu höchstens zwei Dritteln ausgelastet. Wir wären auch nicht geflogen, wenn wir geahnt hätten, wie rasend schnell sich diese Pandemie ausbreiten würde. Aber dies ist ja kein Badeurlaub sondern wir haben ein ganz bestimmtes Ziel: die Blauwale, die gegen Ende März von hier nach Costa Rica und Guatemala weiter ziehen werden. Die möchten wir vorher noch sehen!
Als wir mit unserem Leihwagen, einem tollem SUV für ein Spottgeld, endlich nach einer ziemlichen Suche in dieser Siedlung, vor dem unseren stehen, sind wir mehr als erleichtert und müde! Wir hatten gestern – wegen der 8 stündigen Zeitverschiebung – einen Montag von 30 Stunden !

DAS HAUS
Tracy und seine Frau, meine Tauschpartner, waren im letzten Sommer in meiner Wohnung am Montmartre. Er hat uns einen sehr ausführlichen „house guide“ geschickt. Wir sind dennoch überrascht von seinem Haus, denn es ist in zwei Wohnungen aufgeteilt, die nur über eine AUSSEN-treppe mit einander verbunden sind.

Die wird uns zwingen, jeden Morgen eine Whatsapp zu schicken, um zu sehen, ob die Andere schon wach ist. Lustig, denn es ist wieder so ein „erstes Mal“, welches wir noch nie erlebt haben und das mögen wir sehr!
Genau wie unsere kleinen Kabinenkoffer, die wir für zwei Wochen Aufenthalt gepackt haben, was sich noch als sehr nützlich erweisen wird. Ich hatte nämlich bei der letzten Reise nach Mauritius festgestellt, dass ich mal wieder viel zu viel Kleidung eingepackt hatte. Bei Büchern habe ich immer Glück, entweder Ken Follet-Wälzer von über 1000 Seiten (reicht für eine Woche) oder dort vorhandene Bücher. Daher habe ich mich diesmal auβer der Reisejeans/ Pullover/ Trench für zwei weiβe Hosen und eine Shorts entschieden sowie zehn leichte Tops und eine Strickjacke. Das einzige Kleid sowie Badeanzug wären auch überflüssig gewesen, aber das konnte ich noch nicht ahnen.
Wir richten uns also jede in ihrem Schlafzimmer mit groβzügig bemessenem Bad ein. Ich habe oben die Terrasse mit einem kleinen Durchblick aufs Meer, unten ist entsprechend Platz fürs Wohnzimmer und die Küche mit Eβplatz.


Alles ist pieksauber, allerdings ist der Kühlschrank leer, denn Tracy war schon lange nicht mehr hier und hatte auch keine Gäste vor uns. Also machen wir uns auf, einen Laden zu finden, in dem wir Brot, Butter und Käse fürs Frühstück morgen kaufen können. Das reicht für’s Erste (unseren Kaffee und Tee haben wir immer dabei, sowie den freundlich von Air France gespendeten, äh gemopsten, Zucker). Der Supermarkt kann bis morgen warten.

DER ORT
Das Merkwürdige ist, dass wir auβer den mexikanischen Gärtnern, die hier überall rumwuseln, gieβen und Steinchen legen, Unkraut zupfen und Kakteen pflanzen, niemandem begegnen… bis auf die ebenfalls allüberall zu findenden mexikanischen Sicherheitsleute, die mit Walky-Talky bewaffnet auf ihren Rädern systematisch die ganze Anlage – die nachts über mit Barrieren geschlossen wird! – umkreisen.

Einer von ihnen hilft uns glücklicherweise aus der Patsche, als wir wie die berühmte Kuh vor unserm Tor stehen und nicht herausfinden, wie es zu schlieβen ist, denn das hat der liebe Tracy vergessen, uns zu schreiben! Es ist ein Zahlenschloβ und wir haben vorhin die richtige Kombination zum Öffnen eingegeben – aber nun zeigt uns der Security-Mann, wie wir es wieder zu bekommen. Das Geheimnis: ALLE Häuser hier haben dasselbe System und offenbar sind wir nicht die ersten Gäste, denen dieses Missgeschick passiert. Natürlich ist die Kombination überall anders und wird auch oft gewechselt, trotzdem finden wir es erst einmal merkwürdig, dass wir unsere Wohnungen beim Weggehen nicht abschlieβen können.
Am nächsten Morgen erlärt uns der nette „Bajaboss“ Roberto, der eine der vielen Agenturen dieses Städtchens hat und sich um Tracys Häuser kümmert: niemand klaut hier! Was nicht nur für die Sicherheitsleute sondern auch für die reichen Amerikaner spricht, die an diesem Ort ihre Rente oder ihr Vermögen beim Golf verjubeln. Während Roberto telefoniert, schauen wir uns etwas in seinem groβen Lager um und da wird uns alles klar: Es gibt es in allen Kartons GENAU die gleichen Lampen wie in unserm Haus, die gleichen Möbel — alles ist genormt! Ist ja auch viel einfacher so.
MALERISCH JA, ABER…
Wir gehen in dieser merkwürdigen, auf mexikanisch getrimmten, Kino-Kulisse herum und staunen immer mehr:


Darüber, dass die Häuser so dicht stehen, dass wir den Mann bei uns gegenüber im Haus (!) husten hören, über die kleinen Gässchen, die zwar klinisch sauber aber meistens menschenleer sind, über die Cannes nachempfundene Hauptstraβe mit Palmen jeder Gröβenordnung.

Vor allem aber über den Irrsinn, in die Wüste (denn rund herum gibt es nur kahle Berge und Kakteen!) dieses künstliche, von einem GÜRTEL aus vier verschiedenen Golfplätzen umgebene ‚Gebilde‘ hinzusetzen. Natürlich bringt das Arbeitsplätze für die Mexikaner aber ökologisch ist es ein Wahnsinn. Nun hatten wir ja schon vor drei Jahren in Princeton festgestellt, dass nicht nur Donald Trump mit der Umwelt nichts am Hut hat – aber wurmen tut es uns doch.

Rechts auf dem Bild das normale Gras, links der mit viiiiiel Wasser begossene Green. Übrigens sehen wir auβer ein paar Joggern und Radfahrer nur Leute in den kleinen Golfkarren rumdüsen – oder in den SUVs. Spazieren geht man am Strand. Dieser ist von schwarzem Sand bedeckt, denn die Landzunge von „Baja California sur“ war früher Vulkangebiet. Wir gehen auch zum Strand, müssen aber beim Umkehren höllisch aufpassen als wir über den wunderbar federnden Rasen gehen, nicht von irgendwoher eine Golfkugel an den Kopf geballert zu kriegen…

Wir finden einen kleinen Supermerkt, in dem es – hurra! – französischen Senf und einen sehr anständigen Sauvignon gibt. Das ist schon mal was. Danach laufen wir zum *****Sterne Hotel mit Pool für alle – auch die Anwohner und deren Gäste dürfen rein – aber das Wasser ist noch viel zu kühl für uns.

Dafür gehen wir lieber noch ein Stück.

Doch, doch idyllische Eckchen gibt es hier schon!



Nur eben das pulsierende Leben nicht – und das fehlt uns. Aber es gibt auch gute Überraschungen. Zum Beispiel gleich neben dem „Community Center“, auf das die Anwohner sehr stolz sind, stoβen wir auf einen hübschen, angenehm möblierten Raum, der eine öffentliche Bibliothek ist. Niemand ist da, um zu überwachen, wow! Eine strahlend sauberer Toilette nebenan und sogar Wasserkocher und Tee zur gefälligen Bedienung. Man wird nur gebeten, die ausgeliehenen Bücher doch wieder in alphabetischer Reihenfolge einzuordnen. Das nenne ich amerikanischen Gemeinschaftssinn!
Zweite Überraschung am Tag, an dem wir Loreto erkunden wollen. Kurz bevor wir aus unserer Siedlung auf die Hauptstraβe hinausfahren, entdecken wir ein paar Stände von Einheimischen mit ihren Produkten: frische Eier, sehr klein aber auch sehr preiswert, wunderbar zartes Gemüse, bei dem man schon beim Anschauen Lust aufs Kochen bekommt – und vor allem gaaanz dünner grüner Spargel, der auf der Ebene am nur 70 km entfernten Pazifik angebaut wird! Wir decken uns reichlich damit, sowie mit Obst und den hiesigen kleinen Oliven für die nächsten Tage ein. Wenn die Bauern auf mein Englisch nicht eingehen, versuche ich es mit italienisch und komme damit meistens durch.
LORETO
Nachdem wir im Supermarkt preiswert und gut den Grundstock für die nächsten zehn Tage erstanden haben, wenden wir uns der Strandpromenade zu – nicht ohne vorher die wirklich sehr breiten Straβen des Städtchens genossen zu haben. Es gibt nur eine Hauptstraβe auf dieser Halbinsel. Sie verbindet

TIJUANA im Norden mit LA PAZ im Süden. Es herrscht nur wenig Verkehr und Raser sind selten, das ist wirklich entspannend. Überall kann man leicht parken. Mi hat daher mit unserem ‚Schlachtschiff‘ – sie hat noch nie einen so groβen elektrischen Wagen gelenkt und macht es mal wieder glänzend – keine Schwierigkeiten. Nun also der „Malecon“ von Loreto:

Auch er ist – von einigen Joggern abgesehen – leer, die Mexikaner arbeiten natürlich am Werktag und die Touristen sind offenbar alle anderswo. Wir gehen bis zum historischen Kern des Städtchens und lernen im Museum, dass diese Siedlung Ende des 17. Jahrhunderts von Jesuiten gegründet wurde.

Es gibt ein wunderschönes altes SPA-Hotel, das wir zuerst für einen Antiquitätenladen gehalten haben, und viele hübsche Cafés und Restaurants, die alle, alle auf Kundschaft warten…



Wir gehen durch einen groβen schönen Laubengang zum Museum und

danach auf Erkundung, wer den besten „Whalewatching“- Ausflug anbietet. Bei der dritten Agentur, „Sea & Land“, werden wir fündig. Nicht nur, dass sie erheblich preiswerter als die von Nopolo ist, sondern es werden auch nur kleine Gruppen auf die Boote verteilt. Die Anzahl der Boote pro Tag und Bay ist auch viel weniger hoch als zum Beispiel in Mauritius, wo dreiβig Boote jeden Morgen um halb neun in der einzigen Bucht, in der es Delfine gibt, zu Gange waren (weswegen wir es auch gelassen haben !). Also erkundigen wir uns nach dem besten Tag und es wird uns versichert, dass, falls das Wetter umschlagen sollte oder die Wale auf einmal fort sein sollten (die Blauwale schwimmen nämlich alle auf einmal fort !), wir umgehend per SMS benachrichtigt werden. Unsere Tour soll ca. 6 Stunden dauern, nebst offeriertem Picknick an Bord und dafür müssen wir nur 103 € bezahlen.

Voller Vorfreude fahren wir zurück, gehen in Nopolo noch ein Stück spazieren und — hören auf einmal Französisch!
SOGAR HIER EIN BISTROT
Hatte ich es doch geahnt! Wo es in solch einem abgelegenen Winkel französischen Senf und Wein gibt, müssen auch Franzosen sein…Es sind ihrer sogar vier, eine ganze Familie aus Nantes, die es vorgezogen hat, hierher auszuwandern, weil sie in Frankreich zu viel Steuern zahlen mussten.
Hier können unsere Kinder in Sicherheit aufwachsen.
So sind Emmanuelle, ihr Mann und die zwei Töchter vor zweieinhalb Jahren mit Sack und Pack hierher gezogen und haben das „Bistrot à la Mer“ aufgemacht. Es gibt mittags ein warmes Tagesgericht und abends nur kalte Platten, dazu natürlich Wein von hier – und morgen Abend soll dazu auch noch Musik gemacht werden. Also versprechen wir der quirligen Französin wieder zu kommen. Und sind am nächsten Abend um 19 Uhr die ersten und einzigen Gäste in dem kleinen Saal, die Sängerin und ihr Mann, der sie auf der Gitarre begleitet und oft die zweite Stimme singt, kommen erst eine halbe Stunde später. Während wir uns die Fisch- und Wurstplatte munden lassen, bauen die beiden auf und legen los; zuerst nur auf Spanisch, später als die Amerikaner nach und nach eintreffen (und sich der Tisch links von uns lauthals – trotz der Live-Musik – unterhält) auch auf Englisch. Wie gerne würde ich meiner jungen Kollegin helfen, indem ich ein paar passende Worte an die unhöfliche Bande richten würde. Aber ich belasse es beim gemeinsamen Singen von „La vie en rose“, zu dem sie mich einlädt und das mit tosendem Beifall belohnt wird. Inzwischen ist nämlich ein ganzer Tisch von Leuten aus Vancouver eingetroffen und die möbeln den Laden auf, tanzen zu der nun endlich lockerer werdenden Musik und der Abend endet durchaus beschwingt.
Am Sonntag Morgen ist Markt in Loreto, etwas abseits gelegen, damit die Leute parken können. Farbenprächtig, nicht nur Gemüse, Blumen und Obst

gibt es, sondern auch Kleidung und viele Haushaltswaren. „Unser“ Claude François singt auf Spanisch, was das Zeug hält und wir kaufen wieder wunderbar fleischige Tomaten, zarte junge Karotten und Kartoffeln – nicht ist hier „bio“ aber alles schmeckt so wie gutes Gemüse schmecken soll!
DER TAG ALLER TAGE

Pünktlich um 7H30 stehen wir mit acht Amerikanern an der „Wal mit Baby“- Skulptur in Loreto und kommen sofort ins Gespräch. Die Gruppe ist schon länger hier, in einem Hotel von Loreto einquartiert und es ist nicht ihre erste Walbeobachtung, denn sie waren schon bei den grauen, die im Pazifik schwimmen. Eine Viertelstunde später sind wir im Boot, haben unsere Schwimmwesten angelegt – und versorgen uns schnellstens mit Pullovern und Windjacken aus unseren Rucksäcken, denn der Fahrtwind ist richtig kalt. Ich sehe aus wie ein Preisboxer.

Unser Kapitän steuert das Boot sicher aber auch sehr schnell – die Fahrt zu den Buchten der Wale wird immerhin eine gute Stunde dauern.

Wir sind auf dem GOLF VON KALIFORNIEN (SEA OF CORTEZ) und fahren direkt an der Küste entlang, sehen von weitem Nopolo und auf der anderen Seite die groβe aber unbewohnte ISLA CARMEN. Zwischen ihr und der der kleinen „Tanzende Insel“ (ISLA DANZANTE) müssen wir hindurch, um in den Meeres-Nationalpark zu kommen, wo die Wale und Delfine jeden Winter hinschwimmen, um sich zu vermehren. Sie wissen, dass sie hier nur mit Ferngläsern „gejagt“ werden. Jedes Mal, wenn der Kapitän das Boot anhält und den Motor stoppt, heisst es: Augen auf, Klappe zu! Zuerst geht es ganz langsam an, gerademal sehen wir ein paar der hiesigen schwarze-braunen Pelikane und hin und wieder einen Delfin.

David, unser Guide, – der Einzige, der neben dem Kapitän aufrecht auf dem Boot steht, während wir ringsum (nach Gewicht verteilt!) wie die Spatzen auf der Stange hocken, erzählt uns, dass diese beiden Tierarten sich gerne zusammen tun, um zu fischen. Und dann auf einmal zücken alle der schon kundigen Amerikaner ihre Ferngläser (an sowas haben wir leider überhaupt nicht gedacht, Mist!) denn da – gaanz weit hinten- hat jemand einen Wal gesichtet. Es ist der zweitgröβte der Welt, ein FINNWAL, der 27 m lang und 80 Tonnen schwer werden kann. Diese riesigen Tiere kommen nur ungefähr alle 20 Minuten zum Atemholen an die Oberfläche. Man muss also sehr geduldig sein – denn bei fast 30 m Länge können sie sehr schnell ganz woanders sein, als man vermutet. Es ist ein Kunststück, mit dem Fotoapparat in der Hand in dem schaukelnden Boot zu sitzen und GENAU dann in der Sekunde, in der der Wal auftaucht, abzudrücken!

So kommt es, dass ich – trotz kleinem Teleobjektiv – immer nur seinen 17 Meter langen Rücken erwische. Und nie richtig die ach so fotogene Schwanzflosse! Tapfer stelle ich David die Frage, warum das so sei und er beantwortet sie ganz sachlich: Weil diese Art von Wal entweder sehr gerne tief taucht oder – siehe Foto – ebenso gerne an der Oberfläche schwimmt. Wenn er den Dampf seines Atems in die Luft bläst (er verschwindet sofort wieder!) ist ein einmaliges, aber für mich nicht zu beschreibendes Geräusch. Ich halte jedes Mal meinen Atem an und bin mir bewusst, was für ein Glück wir haben, dieses Schauspiel, noch dazu bei so wunderbarem Wetter erleben zu dürfen.
Überhaupt ist unsere kleine Gesellschaft sehr still, wenn das Boot anhält und nur noch das Piepsen des unabdingbaren Funkgerätes zu hören ist – doch dann bekommt der Kapitän einen Anruf und sofort schaltet er den Motor wieder ein, um schnellstens dorthin zu brausen, wo die Blauwale sein könnten. Diese sind übrigens gar nicht blau, wie David uns erklärt, sondern schimmern silbern, während die Finnwale blauschwarz sind. David ist Ire, in seiner Heimat „ecologist“ und kommt als Volontär jedes Jahr drei Monate lang nach Loreto, um die Wale zu beobachten – es ist sehr viel mehr als ein Hobby für ihn.
„DAS GIBT’S NUR EINMAL…“
Wir fahren in eine sehr groβe Bucht neben der Insel Carmen, wo wir einen riesigen Schwarm von Pelikanen sehen. Sie haben alle denselben langen Schnabel aber jeder hat ein anderes kokettes Häubchen von ganz flaumigen Haaren auf dem Kopf und die Farben gehen von rötlich über grau, violett und schwarz. Jeder Frisör wäre inspiriert.
Und auf einmal – ‚out oft he blue‘ kann man hier wirklich mal sagen! – ist unser Boot geradezu umzingelt von Delfinen, die mit den Pelikanen ihr Mittagessen fischen. David schreit ganz entzückt, dass dies ein Wunder ist, welches höchstens einmal alle zehn Tage passiert. Und das nur FÜR UNS!
Wir können uns gar nicht satt sehen an der Grazie dieser wundervollen Tiere, die in freier Natur genau so rhythmisch zu dritt oder zu viert in einer Reihe unter- und wieder auftauchen wie in der Sea World von San Diego oder Valenzia. Nur ist es hier in dieser Szenerie noch viel schöner zu erleben, wie sie uns umkreisen, und uns nach schönster Flipper-Art zurufen, wie schön sie ihr Leben finden! Ich muss an den alten Schlager denken „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder, das ist zu schön, um wahr zu sein…“ DOCH, es gibt es und es wird wahr für uns. Was für ein Glück, es EIN MAL erleben zu dürfen!! Nach fünf Minuten ist alles vorbei – sie sind genauso blitzschnell weg, wie sie da waren. Mimi hat glücklicherweise gefilmt, ich hatte mit Schauen genug zu tun.
DIE BLAUEN
Wir fahren weiter und dann sind sie auf einmal da, die Silberblauen – und auch noch gleich drei davon! Sie sind NOCH gröβer und schwerer als die Finnwale, über 30 Meter können sie lang werden und bis zu 150 Tonnen schwer. Aber sie sind genau so elegant und ich komme aus dem Schauen und Staunen nicht heraus.

Sie tauchen unter, wieder auf, schwimmen im Kreis und erst ganz leise, dann fast innig stimmen drei von den Amerikanerinnen einen Singsang an „Come on, now, show us your tail, sweety….“ Das geht auch NUR hier und auf Englisch ! Und nett wie die Wale sind, tun sie es nacheinander alle drei, um uns zu grüβen. Ich bin so erschlagen, dass ich die Kamera weggesteckt habe und mich freue, dass mein Banknachbar, Marc YOUNG, mir sein Foto überlässt:

Er ist – wie passend – VIRUSforscher, arbeitet öfter mit dem Institut Pasteur zusammen und ich lade ihn, sowie seine Frau Linda, spontan zu mir an den Montmartre ein, sobald Covid 19 nur noch eine schlimme Erinnerung sein wird.
Nun haben wir aber Hunger und David verwandelt sich blitzschnell vom Meeresführer zum Stewart und serviert uns leckere gefüllte Tacos, Tomaten und Apfelsinenspalten sowie Mineralwasser und Cola. Danach braust der Kapitän mit uns nach Loreto zurück. Wir sind so begeistert von diesem einzigartigen Erlebnis, dass wir am nächsten Tag – des Lobes voll – zu derselben Agentur fahren, um für Freitag die zweite Tour zu den Grauwalen im Pazifik buchen.
GRAUWALE
Diese Mal müssen wir noch früher aufstehen, denn vor uns liegen gute zwei Stunden Fahrt im Minibus, um die siebzig Kilometer durch die PUERTO ALFONSO LOPEZ zu fahren. Zuerst geht es kurvenreich nach oben.

Danach gibt es spektakuläre Ausblicke

und das letzte Stück ist eine ewig gleiche lange gerade und langweilige Strecke: rechts und links Pampa und Kakteen.
Im Bus sitzen auβer Tony, unserem Fahrer, nur Mi und ich sowie ein englischer Vater mit seiner Tochter, der morgen, nach seinen zwei Waltouren, zurück nach Los Angeles und von dort aus weiter „über den Grand Canyon und Las Vegas zurück nach San Franzisco“ will. Ich fürchte, das wird nicht gehen und sage ihm das auch. Donald Trump hat nämlich beschlossen, wegen der Ausbreitung der Seuche in Kalifornien, morgen Abend um Mitternacht die Grenze zwischen Mexiko und den USA zu schlieβen. Wir haben es gerade erst erfahren und gleich dazu noch die Hiobsbotschaft bekommen, dass unser Air-France-Rückflug von L.A. nach Paris sang-und klanglos abgesagt ist! Natürlich sind wir in Sorge und ergehen uns in allen möglichen Spekulationen über unserer Rückkehr.
Im Hafen angekommen, gehen wir – von ohrenbetäubender Musik begleitet – gleich an Bord eines noch kleineren Bootes als das vom Montag war. Mir wird leicht blümerant. Immerhin ist der Pazifik zum Meer Cortez das, was die Nord- zur Ostsee ist. Aber zunächst einmal fahren wir durch ein ausgesprochen angenehmes flaches Gewässer, das von Dünen undvielen Wasservögeln beherrscht wird.


Lustig der Kormoran, der seine Flügel trocknet.

Als wir dann allerdings in die unruhigen Gewässer des Pazifiks kommen, muss ich mich an einer Leine, die am Boden des Bootes liegt, festhalten – und meine ganze Willenskraft aufbieten, das Schaukeln als „gar nicht so schlimm“ abzutun und mich auf das Ausschauen nach den Walen zu konzentrieren.
Diese lassen auf sich warten und als wir sie endlich entdecken, sind sie nicht gerade kooperativ, gucken nur mal sehr kurz und verschwinden sofort wieder. Tony erklärt es damit, dass die Weibchen fast alle Babies haben und deshalb eher unter Wasser bleiben.

Wenn wir das gewusst hätten – und dass der Wind so auffrischen würde, dass das Meer ‚kabbelig‘ ist – wären wir nicht gekommen. Ich bin enttäuscht. Und der Engländer ebenfalls. Tony merkt das natürlich und lädt uns als Ausgleich zum Abschluss der Tour zu einem wunderbaren mexikanischen Essen mit den typischen kleinen Vorspeisen, Fisch und Krabben ein, und wir danken sehr erfreut.

Der Rückweg verläuft sehr schweigsam, denn wir denken alle daran, wie wir wieder nach Europa kommen.
DAS DICKE ENDE
In Loreto angekommen, fahren wir sofort zu dem kleinen Airport und erwischen per Zufall dessen Direktor. Er rät uns eindringlich, so schnell wie möglich über den Landweg nach LA PAZ und von dort aus nach MEXIKO CITY zu fliegen, um dort Anschluss nach Paris zu bekommen. Das schmeckt uns nun gar nicht, obwohl er uns versichert, das La Paz „ganz sicher“ sei. Hm, wir sind nicht überzeigt. Es gibt nur einen Flug am Tag dorthin und der geht nachmittags. Wir diskutieren beim Abendessen darüber und kommen zu dem Entschluss, es doch am Sonntagnachmittag zu wagen, über L.A. auszufliegen, denn wir haben dort einen Anschlussflug mit Air France noch am selben Abend gefunden und buchen den sofort! Der Trump wird uns schon nicht wegen ein paar Stunden Aufenthalt in seinem Flughafen Ärger machen. Immerhin waren wir vom Montag, dem 9. März bis zum 22. In Mexiko, demnach FAST die für Europäer vorgeschriebenen 14 Tage.
Also packen, Bajaboss Roberto benachrichtigen, dass wir Sonntagmittag das Haus verlassen, abends bei Pedro eine Abschiedsmargarita trinken, das Auto am Airport zurück geben und dann sitzen wir auch schon in der Abflughalle, nachdem unsere kleinen Kabinenkoffer richtig gehend gefilzt wurden, was uns auch noch nie passiert war.
Auf einmal hören wir unsere Namen, die aufgerufen werden und gehen ahnungsvoll zum Desk, wo uns derselbe Leiter des Flughafens sagt:
Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie auf dem Boden der USA unerwünscht sind und Ihre Einreise verboten ist .
Das ist nun wirklich ein Schlag ins Gesicht! Alles Betteln und Verhandeln hilft nichts – ihm sind natürlich die Hände gebunden. Er bietet uns nur an, unsere Plätze für Dienstag aufzuheben, damit wir nach La Paz fliegen können…
Wir sind total erledigt, als wir zum HERTZ-Schalter gehen, denn unser zurückgegebener Wagen ist nebst dem dazugehörenden Mann von der anderen Agentur längst über alle Berge. Das ist ganz normal bei den wenigen Touristen, die noch kommen. Adrian von HERTZ ist ausgesprochen nett, bietet uns für 48 Stunden ein Auto für 25 Dollar an und so fahren wir schleunigst in unser Haus zurück. Wie gut, dass Sonntag ist und die Putzleute noch nicht da waren! So müssen wir nur unsere Betten neu machen und halten dann Kriegsrat. Zuerst benachrichtige ich Tracy, dass wir zurück sind (NOCH sind wir ja in der vorher abgemachten Zeit, aber ich hatte ihm natürlich von unserem Missgeschick und von unserer Abfahrt benachrichtigt). Postwendend kommt seine Antwort:
Ihr könnt so lange bleiben, wie Ihr wollt, dies ist ein Notfall.
Wie schön! Dank seiner Groβzügigkeit haben wir also ein Dach über dem Kopf, zu essen und zu trinken. Doch es geht uns mies. Wir haben nicht vor, in diesem Ort, der zwar vor dem Virus sicher ist (in GANZ MEXICO gibt es bisher nur zwei Erkrankte) aber doch nicht für Monate unser Fall ist, zu bleiben. Also suchen wir händeringend nach einem einfachen HINFLUG von Mexico City nach Paris. Es ist zum Weinen, wie schnell sich einige Agenturen der Misere bedienen: bis zu 3000 DOLLAR pro Person werden verlangt! Ich verbringe eine schlaflose Nacht mit Lesen auf meinem Tablet und beschlieβe, nach den Horrormeldungen aus Frankreich und besonders Paris, dass ich, wenn wir heil zurück kommen, keinesfalls in Paris bleiben, sondern sofort nach Saint Maur umsiedeln werde.
Montagmorgen sind wir in der Agentur, um mit der französischen Botschaft zu telefonieren. Uns wird geraten, aus eigenen Kräften über La Paz in die Hauptstadt zu kommen – und zwar schnellstens! – dort wären Mitglieder der Botschaft am Air-France-Desk und würden uns weiterhelfen, einen Flug nach Paris zu bekommen (nicht alle Flüge werden nämlich im Internet angezeigt).
Genau das tun wir auch, machen uns in Loreto über die Buszeiten schlau und geben am nächsten Mittag im HERTZ-Büro, welches genau gegenüber vom Busbahnhof steht, unser Auto zurück. 5 Minuten später erfahren wir, dass unser Bus wegen Corona nicht fährt…
Das darf doch nicht wahr sein! Der nächste geht erst abends – wir haben aber inzwischen den Flug morgen früh um 8H15 nach Mexico gebucht und müssen also in La Paz übernachten. Also zurück ins HERTZ-Büro und einen VW gemietet, mit dem Mi die 350 km in genau 5 Stunden bewältigen wird (fast überall sind nur 80 Stundenkilometer erlaubt und wir begegnen mehreren Polizeikontrollen). Wir hatten sie wirklich nicht vorgehabt, aber diese kleine Reise durch den südlichen Teil von Südkalifornien bei strahlendem Sonnenschein und guter, schnurgerader Fahrbahn ist sehr angenehm. Und die Ankunft in La Paz ist spektakulär!

Die weiβe Stadt am Strand in einer riesigen wunderschönen Bucht würde uns durchaus locken, aber nach einer weiteren sehr unruhigen Nacht möchten wir nur noch früh im Restaurant essen und dann jede in ihr King-Size-Bett. Morgen früh müssen wir nämlich schon um 6 Uhr am Flughafen sein. Und da erwartet uns der nächste Schicksalsstreich: Der Flug ist wegen Corona gestrichen. Wir müssen also 8 Stunden lang in der Wartehalle des Flughafens aushalten. Nun bin ich aber wirklich wütend und hellwach. Während Mi sich um die Rückgabe des VW kümmert – auch hier wieder ein Mexikaner, der wie alle anderen ausgesprochen hilfsbereit und nett zu uns ist – organisiere ich Kaffee und Cookies.
Immerhin haben wir unsere Bordkarten für den 14H50 Flug! Und als wir dann endlich drin sitzen und über einer atemberaubend schönen Kulisse Südkalifornien verlassen, bin ich nur noch dankbar für all das Schöne, was wir wieder erleben durften auf dieser Reise.

In Mexiko City (noch nie im Leben bin ich über eine so riesige Stadt geflogen – hier leben 20 Millionen Menschen, man sieht es am Smog!) kommt der Endspurt über gefühlte drei Kilometer Gänge bis wir – Halleluja! – am Air France Desk tatsächlich die jungen Leute der Botschaft treffen, die uns die LETZTEN beiden Plätze für den 19H50 Direktflug nach Paris verschaffen! Und nicht mal küssen darf man sie dafür …! Jedenfalls sind wir noch nie SO FREUDIG in ein Flugzeug gestiegen. Ende gut, alles gut – natürlich mit CHAMPAGNER!
