2017 – Princeton + New York

EINE REISE, DIE IST LUSTIG….

Eine Reise ohne das kleinste Abenteuer ist wie ein Rezept ohne Salz. Diesmal erleben wir es gleich am Flughafen Charles de Gaulle, wo wir von einer netten, aber unerbittlichen Polizistin ins Gebet genommen werden: wie wir hergekommen seien (im Taxi), ob wir unterwegs jemanden getroffen hätten (nein), ob das unsere Koffer seien (ja), ob sie oder unsere Rucksäcke von irgendjemand Anderem als uns geöffnet worden wären (nein). Man merkt, dass es ihr ernst ist mit den Sicherheitsbestimmungen. Und das ist ja nun andererseits wiederum auch für unser Seelenheil gut. Mimi wird allerdings auch noch einer weiteren Behandlung unterzogen: Bei jedem Flug werden nun willkürlich ein paar Menschen aufgerufen, deren Handgepäck noch einmal ganz besonders gründlich durchleuchtet wird. Dafür dürfen sie dann auch als Erste ins Flugzeug. Ich nehme an, auch die Terroristen wissen all das und die werden sich schwer hüten, so früh da zu sein wie wir.

Als wir im JFK von New York ankommen, ist alles grau und hübsch hässlich: die Riesenhalle, die wir fast zwei Stunden Schrittchen für Schrittchen  ‚genieβen‘ dürfen, obwohl quasi alle Schalter besetzt sind und das Personal darüber wacht, dass wir ordentlich verteilt werden. Ein Polizist mit Drogen-Schnüffelhund ist auch da. Wir sind allmählich etwas müde, als wir um 16 Uhr endlich durch die Kontrollen sind und im Bus sitzen, der uns zur Port Authority Station bringen wird, denn für uns ist es schon 22 Uhr, wir sind seit sechzehn Stunden auf den Beinen.

Aber an ein Nickerchen ist nicht zu denken, denn der Bus ist so schlecht gefedert, dass mein Rücken jedes Loch schmerzhaft verzeichnet. Von auβen sieht er ganz nett  aus.

Doch innen ist er mit einer Art Fliegengitter ausgestattet, der das Hinausgucken sehr erschwert. Also döse ich so vor mich hin, bis wir nach guten 50 Minuten ‚rushhour  Manhattan erreichen – und ich höchst erstaunt feststelle, dass die Straβen der Stadt viel schmaler, ja kleiner sind, als ich sie in meinem Gedächtnis fünfundvierzig Jahre lang gespeichert hatte. 

Als ich damals, mit fünfundzwanzig, auf dem Kreuzfahrtschiff  „Le France“ hier ankam, erschienen mir  alle Straβen und Avenues riesig. Nun, nachdem ich Singapur vor nur zehn Monaten gesehen habe,  relativiert sich das. Wir fahren am Times Square vorbei und sofort meldet sich mein ökologisches Gewissen: „Wieso müssen die schon am hellen lichten Tag diese gigantischen  Leuchtreklamen anhaben?“  Mr. President, äuβern Sie sich bitte mal dazu !

Den zweiten Bus finden wir erst nach einer halben Stunde quälenden Suchens, denn die Busstation ist riesig und noch dazu in zwei verschiedenen Gebäuden untergebracht. Aber wir sind ja dickköpfig und auch der brummige Fahrer, der offenbar kaum Englisch versteht oder spricht, kann unsere Freude, es mal wieder geschafft zu haben, nicht trüben. Hätten wir nämlich von JFK ein Taxi nach Princeton genommen, wäre das fast so teuer wie der Hinflug gewesen: 265 Dollar. Und so haben die beiden „Senioretten“ nur sieben Dollar fünfzig für die anderthalb Stunden Fahrt bezahlt ! Und den „Rest“ geben wir lieber in dieser Stadt aus, nach unseren zwei Wochen in Princeton.

Dieser Überlandbus ist wirklich bequem, aber auch hier ist an Schlaf nicht zu denken, denn ich versuche vergebens von den sehr netten und hilfsbereiten Mitfahrern rauszukriegen, WO genau wir in Princeton aussteigen müssen. Einer sagt zwar lieb

JUST PRESS THE RED BUTTON

Aber wo denn, bitte schön? Nirgends können wir auf der gesamten Strecke eine richtige Haltestelle erspähen. Alle Passagiere klingeln irgendwann und je weiter wir kommen, über Brunswick und ein paar kleinere Ortschaften, desto mehr leert sich der Wagen.

Fast zum Schluss – nur ein paar Miles vom Ziel entfernt und trotzdem in the middle of nowhere – wendet sich der Busfahrer an den einzigen Fahrgast (auβer uns) , um ihm zu bedeuten, dass er NICHT bis Princeton fahren würde. Wir erblassen – SO abenteuerlich wollten wir es eigentlich nun doch nicht haben! Glücklicherweise weigert sich der andere Gast srikt, auszusteigen mit dem Hinweis, er habe bis zur Endstation bezahlt. Daraufhin brüllt der Fahrer den einzigen Satz, den er offenbar perfekt auf Englisch kann:

I work for money !!

und ruft per Handy seinen Boss an. Eine Minute später fahren wir weiter, denn der Boss hat es so bestimmt. Hurra!

HAUS UND SPAZIERGÄNGE

Also kommen wir endlich kurz vor zwanzig Uhr Ortszeit vor ‚unserem‘ Haus  an und werden gleich herzlich von unseren deutsch-amerikanischen Nachbarn Brigitta und Eric begrüβt. Sie hatten offenbar Order von unseren Tauschpartnern, Susanne und David, uns abzupassen und zu berichten, ob wir auch heil ins Haus gekommen sein. Wir gehen nur kurz durch unsern Palast (drei Etagen plus Keller und Nebengebäude, BMW vor dem Eingang). Nach einem kleinen Essen im Garten von  „Tiger Noodles“ um die Ecke – von wo aus Mimi im Liquor Store nebenan uns eine Flasche Bier besorgt, was hier total normal uns sogar erwünscht ist – fallen wir um vier Uhr morgens (innere Uhr !) in unsre Betten.

Meins ist wunderbar und das ganze Schlafzimmer mit Balkon undAussicht in den schönen Garten ist es auch. Leider sind die Fenster vorhanglos, und so werde ich oft morgens vom Licht geweckt – allerdings auch vom jubelnden Gesang unzähliger Vögel und allein der macht das Aufstehen zur Freude !

Nach dem Frühstuck durchstreifen wir das Haus und bewundern die beiden Wohnzimmer – je eins für Winter und Sommer! – nebst Ess-und Fernsehzimmer, alles ist sehr gediegen. Die Sofas sind riesig, im CD-Player gibt es gleich fünf Mulden, damit man nicht so oft aufstehen muss. Die diversen Ahnen im schweren Rahmen gucken streng aus der Wäsche. In meiner Dusche könnte man eine Migrantenfamilie unterbringen und natürlich darf die Jacuzzi-Badewanne nicht fehlen.

Im Winter mit Kaminfeuer mag das ja sehr gemütlich sein, aber uns ist das moderne Sommerzimmer mit Blick in den Garten angenehmer. 

Auβerdem  liegt es neben der Küche, in der wir einigermaβen perplex vor sage und schreibe siebenundzwanzig (!) Schubladen stehen und Tage brauchen, um gleich auf den ersten Ruck die richtige aufzuziehen. Der Eisschrank ist riesig und zu unserem Erstaunen finden wir angebrochene Milchtüten, einen vergammelten Camembert und diverse andere Reste, so dass wir gleich erst mal aufräumen (beim Heimkommen werde ich leider in Paris Ähnliches vorfinden).

Also gehen wir zum ersten Einkauf – trotz strömenden Regens, denn wir haben ja auch einen überdimensionalen Regenschirm zur Verfügung. Drauβen ist es schwül-heiβ,und da wir die sehr kurze Nacht in den Knochen haben, gehen wir nur am kleinen Kobold vorbei  bis zu den ersten Läden. Die Häuser, bzw. Villen gefallen mir ausnehmend gut und erinnern mich an Zehlendorf und Dahlem, allerdings mit dem groβen Unterschied, dass Zäune hier selten sind : man zeigt, was man hat ! Drei Autos – oh pardon,

Wagen! – sind keine Seltenheit. Auch Blumenbeete mit Salat und Gemüse werden VOR dem Haus angelegt – zur freundlichen Bedienung für Jedermann. Doch niemand macht das! Ebenso wird auf dem Spielplatz kein vergessener Ball oder ein Plastiktrecker  wegkommen, das tut man hier einfach nicht. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus — leider auch bei den Preisen der Lebensmittel !

Alles das, was wir in Paris als Kilopreis für Obst oder Gemüse bezahlen, gilt hier für ein Pound, also für nur 453 Gramm – nicht mal ein Pfund! Käse ist sehr teuer, Wein natürlich noch mehr. Und dann DIE Verpackungen! Obstsaft gibt es fast nur AB 1,75 Liter, wir müssen richtig suchen, bis wir eine kleinere Flasche finden (und noch mehr eine ohne Zuckerzusatz). Wie ein Single hier einkaufen soll, ist mir schleierhaft.

Das Zauberwort „Bio“ heiβt hier organic und wird so ziemlich für alles gebraucht. Das Dumme ist nur: Das Gemüse schmeckt einfach nach nichts! Ob Spargel, Kartoffeln oder Zuckerschoten – ganz egal, ob Bio oder nicht. Erst als wir Brokkoli aus Mexico und wunderbare kleine Paprika aus Guatemala kaufen, kommen wir geschmacklich auf unsere Kosten. Das Brot sieht sehr lecker aus,  doch auch da hapert es  gewaltig mit dem Geschmack. Wenn man aber an die Riesenfelder und Monsanto denkt, ist das alles eigentlich kein Wunder…

Mit dem Kleingeld komme ich schon relativ schnell gut zurecht, aber die Leute näseln entsetzlich und so habe ich doch erst mal ziemliche Mühe, sie zu verstehen, zumal sie auch kaum artikulieren. Allerdings machen sie das durch groβe Freundlichkeit und Zuvorkommenheit wieder wett. DAVON könnten sich sämtliche französischen Geschäftsleute eine Riesenscheibe abschneiden! Und noch etwas berührt uns beim Spazierengehen, nämlich dieses Schild:            

Gut, Princeton ist eine Ausnahme – auch für Amerika! Hier leben nur ca. 30.000 Menschen, davon ungefähr 7500 Studenten und deren Professoren. Es gibt einen richtigen Stadtkern, den Palmer Square – total unüblich in den meisten amerikanischen Kleinstädten – mit der öffentlichen Bibliothek vor der ein Schild steht, das vor ZWEIHUNDERTFÜNFZIG Dollar Strafe warnt, wenn man auf diesem freien Platz beim Rauchen erwischt wird…! Überall wird hier gelernt – in ein paar Tagen sind die Examen – wie Bild zeigt:

UNIVERSITÄT UND ALBERT EINSTEIN

Vor allem aber gibt es hier die viertälteste und nun eine der berühmtesten Universitäten von Amerika auf einem immensen Campus. Architektonisch ist dort von Tudor-Style bis hochmodern (Jean Nouvel und Frank Gehry) alles vertreten.

Es ist ganz wunderbar, unter den zahlreichen – und gigantischen! –  Bäumen spazieren zu gehen und dabei auch noch von jungen Männern gegrüβt zu werden, die ehrerbietig zur Seite treten, um uns auf dem gepflasterten Weg vorbei gehen zu lassen. So was gibt’s noch!  „Courtesy“ ist das Zauberwort. Man kann verstehen, dass Albert Einstein, der in dieser Straβe wohnte, hier gerne gelehrt hat.

Er hat übrigens das kleinste und witzigste Museum der Welt in diesem Laden, in welchem T-Shirts mit seinen Maximen neben Kaschmirpullovern angeboten werden:

Während meine Tauschpartner in Paris bei Temperaturen von 35 Grad und mehr nichts zu lachen haben, wird das Wetter hier immer schöner, und wir dehnen unsere Streifzüge durch das Städtchen aus, während ‚zu Hause‘ jeden Dienstag die house-maid und am Mittwoch der gardener werkeln. Letzterer ist weiß und saust auf dem Rasenmäher in bewundernswerter Geschicklichkeit herum, während sein farbiger Gehilfe mit den obligaten Kopfhörern sich der Kanten annimmt und mit einer Art umgekehrtem Staubsauger das abgeschnittene Gras und die Blätter als Kompost in die Beete kehrt. Nach genau 20 Minuten geht es in die nächste Villa. Und danach sieht es dann so aus:

REICHTUM HAT WAS…

RADELN UND ESSEN

Am nächsten Tag nehmen wir zum ersten Mal die Räder, wobei Mi mir netterweise wegen meiner leider andauernden und ziemlich scheuβlichen Rückenschmerzen das Damenrad überlässt. Wir fahren runter zum Fluss Carnegie und freuen uns, dass es in dieser Stadt offenbar weder Mopeds noch Motorräder gibt (das sind meine persönlichen Feinde in Paris). Leider müssen wir nach einer sehr schönen Fahrt auf dem Trail  – und einer lustigen Begegnung mit einem chinesischen Ehepaar, das sich um das soeben gefangene Abendbrot vom Mister streitet, weil die Fische nämlich versuchen, wieder  in ihr natürliches Element auszubüxen – auch den langen Weg wieder hinauf, was bei der Hitze nicht so lustig ist.   

Abends essen wir nun immer drauβen vor dem Haus auf einer Ecke des zehn Personen-Tisches.

Wir genieβen den Vogelgesang und die putzigen groβen Eichhörnchen, sowie – für mich nur zum zweiten Mal in meinem Leben! – die fireflies, also die Glühwürmchen. Wobei ich natürlich sofort das Lied von Paul Lincke summen muss, aber glücklicherweise über „flimmre“ und „schimmre“ nicht hinauskomme. Es sieht einfach wunderschön aus, wenn es wie von Zauberhand im tiefen Dunkelgrün des Gartens hier und da aufblitzt.

Einen der nettesten Abende verbringen wir bei unseren Nachbarn Brigitta und Eric, die gleich  am ersten Mittag mit einer riesigen Schale Erdbeeren (hier gibt es nix in „klein“!) vor unserer Tür im Regen standen und ich sie natürlich hereinbat. Wir unterhielten uns sehr angeregt, zu Mimis Erleichterung auf Deutsch, da Brigitta Lektorin bei dem Verlag ist (der  “Die Verwandlung der Welt“ von Jürgen Osterhammel herausbrachte) und Eric hier an der Uni deutsche Geschichte lehrt.

Am Ende luden sie uns zu einem Barbecue ein und nun ist es sehr lustig, von ihrem Tisch aus auf Susannes und Davids Haus zu schauen. Das Essen und der Wein sind köstlich (und ich bin zugegeben etwas neidisch auf die Hausfrau, die dieses Gemüse so schmackhaft  hinkriegt). Wir unterhalten uns natürlich über Trump und sie sind im Voraus entsetzt, was sie wohl am nächsten Morgen in der Times wieder Unmögliches von ihm entdecken werden.

Anzumerken wäre, dass es zwei „Times“ gibt, die wir jeden Morgen auf dem Bürgersteig oder auf dem Perron vor dem Haus aufsammeln. In einem sehr speziellen Format (mehr hoch als breit), ist sie in blaues Plastik gekleidet (ZWEI Tüten, damit sie ja nicht nass wird !) für die The New York Times, während wir uns mit grünem Plastik und nur dem Titel „The Times“ begnügen müssen. Immerhin steht auch dort alles Wissenswerte drin und zwar schon auf Seite vier z.B. über Macrons Wahlsieg und den Tod von Helmut Kohl. Sogar den 45. Geburtstag von Jean Dujardin erfahren wir so, wie nett. Ich löse mit Freude die Sudokus von Bronze bis Gold während wir jeden Tag „hängematten“. Erholung pur.

Zu unserem nachbarlichen Gespräch wäre noch zu sagen, dass die beiden sich halb tot lachen über unsere Bemerkungen zum american way of life, den wir ja beide zum ersten Mal zwei Wochen lang praktizieren: zum Beispiel, dass sie keinen Sinn für die Umwelt haben, denn sie lassen eine Lampe die ganze Nacht lang brennen, und auch am hellen Mittag ist es gang und gäbe, nicht mit Strom zu sparen, da die riesigen Bäume vor den Fenstern das Tageslicht nicht genügend hereinlassen. Fuβgänger sind selten – daher werden die herabhängenden Äste über den Gehwegen einfach nicht abgeschnitten….!

Natürlich kritisieren wir nicht nur, sondern betonen auch, wie angenehm wir es empfinden, dass z.B. die Autos nicht wie in Paris auf einen draufhalten, sobald man eine Straβe überqueren möchte, sondern fast 20 Meter  von uns entfernt anhalten. Und dass überhaupt hier alle Leute sehr langsam in der Stadt fahren, was für uns Fahrradfahrer ganz wunderbar ist.

SHOPPING UND KONZERT

Im einzigen „Shopping Center“ von Princeton – auch hier alles gigantisch – sind die Preise erheblich moderater als in den Geschäften des Zentrums. Zu meiner groβen Freude finde ich dort die padded hangers, die ich in Susannes Dressing entdeckt habe und die prima in meinen Kleiderschrank passen werden. Wir bleiben gleich noch da für ein Konzert mit Cajun-Musik und staunen einmal mehr: um PUNKT halb sieben Uhr wird hier gegessen, ganz egal wo oder wie. Daher auch der 1. Satz von The lady is a tramp:

She gets too hungry for dinner at eight !

SCHWIMMBAD

Einen herrlichen Sommersonntag verbringen wir im Freibad von Princeton – einem gewaltigen Gelände mit – zur Auswahl –  Babybecken, Kleinkinderbecken, Olympia-Becken und Sprungturmbecken ! Ich mache mir einen Heidenspaβ daraus, mit siebzig Jahren zum ersten Mal eine dieser „Megarutschen mit Kurven“ zu erleben ! Der Eintrittspreis von 12 Dollar pro Tag liegt ausnahmsweise bei Weitem unter den in Deutschland und Frankreich praktizierten. Die Sauberkeit der gesamten Anlage ist beispielhaft. Und Mücken gibt es hier zum Glück erst ab Juli !

Und auf einmal ist unsere Zeit hier um. Es hat uns wirklich sehr gut gefallen, aber nun heiβt es: Auf nach NEW  YORK!

Wir beginnen unsere sechs Tage in  New York mit – einer echten Berliner Curry-Wurst und einem Glas Budweiser ! Beides sehr lecker und preiswert im Chelsea-Market, wo wir uns vom ersten Schock der „schönsten Stadt der Welt“ (davon sind sie alle felsenfest überzeugt !) erholen.

Es ist heiβ, das Taxi hat für die drei Kilometer vom Busbahnhof zu unserem Hotel über eine halbe Stunde gebraucht und wir sind schon nach nur zwei Kilometern zu Fuβ k.o. Im Hayden-Hotel, wo wir von unserer 16. Etage auf einen Dachgarten (zehn Etagen unter uns !) sehen können, dessen Besitzer jeden Morgen brav seine Tomaten begieβt, habe ich gefragt, ob wir einen Bus nach Süden zum Markt nehmen könnten statt der Subway ? Der Mann an der Rezeption lächelte nur müde:

An einem Freitag zur Rushhour? Da kann ich nur abraten.

Es ist zwar erst halb drei Uhr nachmittags – aber tatsächlich steht, wie schon am Vormittag, Stoβstange an Stoβstange. So lobe ich Mi einmal mehr, die das Hotel gut ausgesucht und gebucht hat, denn wir sind nur 100 Meter von der Station „28 St“ entfernt. Wenn man das System der „Streets“ und „Avenues“, „uptown“/„downtown“ und East/West einmal begriffen hat, ist es gar nicht so schwierig, sich zurecht zu finden.

Nur die Automaten sind in allen Ländern der Erde gleich blöd. Und so sind wir einer netten Dame – die offenbar selber in Eile ist – sehr dankbar, dass sie es sich trotzdem nicht nehmen lässt, uns zum Sesam der Wochenkarte zu verhelfen. Ab jetzt brauchen wir NUR noch zu lernen, wie man das Ding schnell – aber nicht ZU schnell – durch den Schlitz schiebt, der die Drehtür frei gibt. Schön ist sie nicht, die New Yorker Subway (kein Vergleich mit Singapur !) aber praktisch und schnell. So fahren wir am Ende des Nachmittags nur vier Stationen zum Zentralbahnhof, den wir schon  in vielen Filmen gesehen haben, und der wirklich beeindruckend ist.

Eigentlich finde ich es immer viel schöner, die Reiseführer erst NACH einer Reise zu lesen, damit ich mich völlig unvoreingenommen dem Erlebnis Grand Central Station hingeben kann. So habe ich gerade erst gelernt, dass diese im Stil  der „Beaux-Arts“ am Anfang des 20. Jahrhunderts erneuert wurde, denn die ursprüngliche Halle stammt von 1871. Dieser Kopfbahnhof hat die  meisten Gleise der Welt, nämlich 67 ! Es gibt einen wunderbaren Flashmob auf Youtube zu bewundern, der 207 Menschen im Jahre 2008 zeigt, die 5 Minuten lang „erstarrten“, was die anderen Menschen im Bahnhof deutlich verunsichert:  https://www.youtube.com/watch?v=jwMj3PJDxuo.

Die Eingangsszene zeigt ganz kurz den Bryant-Park, in den wir uns nun auch begeben – die Diskrepanz zwischen dem Park und den Wolkenkratzern ist sehr beeindruckend.

Es sieht so aus, als ob THE ONE WORLD TRADE CENTER gleich hier neben dem Park stünde, dabei ist es sogar per Luftlinie mindestens  fünf Kilometer weit entfernt. Der Park ist voller Menschen, die sich den unterschiedlichsten Beschäftigungen hingeben: eine Tanzperformance auf der Bühne, Akrobaten auf der Wiese, Picknicks überall, aber auch fein gekleidete Menschen im Nobelrestaurant an einer Ecke. An einer anderen gibt es ein typisches Pariser Karussel mit Edith Piaf Musik und überall stehen Schach- oder andere Spiele kostenlos zur Verfügung.

Niemand schreit, alle – auch die Kinder – reden in normaler Lautstärke, niemand brüllt in sein Handy oder raucht. Die ganze Atmosphäre hier ist eine friedliche Feierabendstimmung. Völlig anders ist die wuselige Hektik des Times-Square, den Mi schrecklich, ich aber lustig finde: Reklame auf die Spitze getrieben, quasi nackte Mädels, die tanzen und ebenfalls irgendetwas anpreisen müssen, die Polizei mitten drin (sehr schlau: die Wache ist gleich nebenan !) und das alles auf einer winzigen Fläche. Amerikanisch eben.

Zum Abschluss des Tages möchten wir noch eine Kleinigkeit essen. Es ist immer noch sehr warm um neun Uhr abends, aber wir finden einen Zweier-Tisch vor einem kleinen portugiesischen Restaurant unweit unseres Hotels. Mein Gazpacho und Mimis „Fingerling“-Kartoffeln sind sehr lecker, aber dass wir für ein winziges Bierchen, in einem WEINglas serviert, fünf Dollar bezahlen sollen, finden wir wirklich übertrieben ! Dazu kommen nämlich immer noch die berühmt-berüchtigten „Taxes“/Steuern  – von denen man vorher NIE weiβ, wie hoch sie sind!  Dazu kommt auch noch das Trinkgeld, der „tip“ (kommt übrigens von dem Satz „to improve performance/promptness“) der in diesem Land als obligat angesehen wird. Damit bin ich nun aber gar nicht einverstanden, wenn ich mich als Gast oder Kunde übers Ohr balbiert finde. Daher lassen wir auch keinen da an diesem Abend ! 

Am nächsten Morgen stärken wir uns in einer Art Kneipe mit einem typisch amerikanischem Frühstück: Mi nimmt Kaffee und Brownie und ich Spiegeleier mit Bratkartoffeln. Alles lecker, nur muss man sunny side up zu den Eiern sagen, damit man sie nicht von beiden Seiten gebacken bekommt. Lustig ! Jedenfalls bezahlen wir für zwei hier, was wir für EIN Frühstück im Hotel ausgegeben hätten. Wir fahren nun schon ganz routiniert downtown bis zum Battery Park.

Und nun auf zum Gang durch das Viertel der Wall-Street !

Am Sonnabend ist es hier ziemlich leer, zumal dies ja ein langes Wochenende sein wird, denn auch Geschäftsleute schlagen gerne mal die „Brücke“ über den Nationalfeiertag (nächsten Dienstag). Wir gehen über die Fulton Street und die Broad Street bevor sie zum Broadway wird. Nach einem Abstecher zum Meer, wo Miss Liberty von ihrer Insel herüber grüβt, geht es weiter zum Rathaus, zur ältesten Kirche von New York, der St. Pauls Chapel, und danach endlich zum heutigen Highlight, dem ONE WORLD TRADE CENTER.    

THERE’S NO BUSINESS LIKE SHOWBUSINESS

Seit 2012 ist es das höchste Gebäude der westlichen Welt (nur von Dubai geschlagen) mit seinen symbolischen 541 Metern =1776 Fuβ, um das Gründungsjahr der USA zu feiern. Davon gehen zwar 124 Meter für die Antenne ab, aber der Eiffelturm mit seinen schlappen 324  Metern (mitsamt Antenne) kann da natürlich nicht mithalten. Ich finde das Design sehr elegant und schön, tagsüber jedenfalls – abends allerdings ist unser Tour Eiffel unschlagbar!  

Wir gehen durch eine gewaltige marmorne Halle und einen sehr langen Gang langsam aber ständig hinunter. An den Wänden hängen Bilder der Bauarbeiter, von denen viele sich geweigert haben, in Rente zu gehen, bevor die elf Jahre dauernden Arbeiten fertig waren. Ihre Gesichter leuchten geradezu vor Freude und Stolz über ihre Leistung. Und wie Recht sie haben ! Die letzten Meter zu den Aufzügen legen wir inmitten von Felsgestein zurück, denn der 104 Etagen hohe Turm brauchte eine zwanzig Stockwerke umfassende, bombensichere Basis, die ihrerseits von einer 70 Tonnen schweren und über 60 Meter tief in die Felsformation von Lower Manhattan eingelassenen Konstruktion aus Stahlpfeilern gehalten wird.    

Wir betreten den riesengroβen Aufzug und ich nicke Mi beruhigend zu, denn ich weiβ, welche Anstrengung es für sie sein wird, nun HUNDERTZWEI Stockwerke hinauf zu fahren – aber ich hatte nicht mit dem einzigartigen Erfindungsgeist der Amerikaner gerechnet ! Während sich die Türen schlieβen, gehen nämlich wie im Kino die drei Innenwände als Leinwand auf  und wir werden IM FILM geradezu aus dem Felsgestein auf die mit Gras bewachsene Erde katapultiert ! Dann geht es mit rasender Geschwindigkeit an die Konstruktion von New York von den Anfängen der Stadt bis heute !!! Und das alles in nur 47 Sekunden, das entspricht einer Geschwindigkeit von 37 Stundenkilometern (!) – also kann man gar nicht alles genau mitbekommen. Sogar Mi möchte sofort noch einmal fahren.  Und das soll was heiβen !

Oben angekommen, im One World Observatory, das erst seit Mai 2015 zugänglich ist, werden wir aufgereiht wie auf dem Schulhof, und dann beginnt eine nur zweieinhalbminütige Show, die uns alle zu Begeisterungsbezeugungen hinreiβt ! Die Fenster dieser Aussichtsplattform sind nämlich geschlossen und auf  dieser so entstehenden Leinwand wird New York nun noch einmal gefeiert, wie es eben nur die Amerikaner können: einfach gewaltig und wunderbar, wie sie ihre Stadt lieben ! Während wir alle wie verrückt klatschen und pfeifen, gehen wie von Zauberhand die Fenster auf und – unter uns liegt New York, Miss Liberty, die Inseln und ganz Manhattan. Das ist nun wirklich einmalig !

Und das Schönste: Niemand drängt uns, wir können so lange bleiben, wie wir wollen und nützen das auch weidlich aus mit einem elektronischen Führer, auf dem wir die einzelnen Gebäude abfragen können und so auch noch eine ganze Menge über die Stadt lernen. Leider ist das Wetter nicht mehr so gut zum Fotografieren wie vormittags,  aber ein paar Aufnahmen gelingen mir doch.

Nach diesem eindrücklichen Erlebnis geht es für uns wieder hinunter in die normale Welt – wo es leider regnet. Was uns aber nicht abhält, zu einem der beiden Gedächtnisbrunnen zu Ehren der Opfer des 11. September zu gehen. Es ist sehr berührend, deren Namen auf der Umfassung zu lesen und gleichzeitig den weiβen Vogel zu beobachten, von dem ich nicht herausbekomme, ob er mehr einer Friedenstaube oder einem Kriegsadler ähnelt. Wir werden sehr still.

SONNTAG IN NEW YORK

Sonntagmorgen in Harlem erwartet uns eine herbe Enttäuschung! Vor Jahren hatten wir in San Francisco (siehe 1997) ein erhebendes Erlebnis in Form eines Gottesdienstes mit Gospelgesang gehabt, von dem wir heute noch beeindruckt sind. Wir durften nicht nur zuhören, sondern uns aktiv mit unseren schwarzen Mitmenschen beschäftigen, sie an den Händen halten und mit ihnen zusammen singen. Leider Gottes – kann man da nur sagen ! – ist durch die vielen Touristen zwanzig  Jahre später ein lukratives Business daraus geworden. Die Reiseagenturen haben viel kaputt gemacht, aber natürlich auch die Leute, die denken, dass sie in Shorts und Schlappen, mit umgehängtem Riesenrucksack und dito Fotoapparaten in eine Kirche kommen können.

Wir haben uns fein angezogen und nur einen winzigen Rucksack dabei, als wir uns vor der Canaan Baptist Church um halb zehn einfinden. Leider ist es so, wie unser Reiseführer vorausgesagt hat: die weiβen Touristen sind deutlich in der Überzahl und ein sehr unangenehmer „Ordnungshüter“ befiehlt uns, den kleinen Rucksack für ZEHN Dollar in ein Auto zu legen (wir bekommen eine Nummer). Wir werden regelrecht auf der Empore „geparkt“ – weit ab von unseren schwarzen Mitmenschen, die unten im Saal sitzen. Dem Geschehen im Saal können wir quasi nur über groβe Bildschirme folgen und ermüden schnell, denn der Gospel-Chor ist leider nicht besonders. Dann müssen wir auch noch den Klingelbeutel über uns ergehen lassen – der hier eine vergoldete Schale ist, auf der man seine Dollarscheine ablegen darf, die dann von dort aus in Waschkörbe geschaufelt und weggebracht werden ! Wir flüchten und schimpfen wie die Rohrspatzen auf dieses unheilige Geschäft, das sich für uns auch noch wie „umgekehrter Rassismus“ anfühlt, bis wir bei Sylvia’s Soul Food  ankommen.

Deren Brunch ist nun eigentlich mehr für den Körper gedacht  – aber die Seele beruhigt sich ebenfalls in der friedlichen und stilvollen Atmosphäre des Restaurants mit gutem Essen und einem „Mimosa“-Aperitif, der sich als Sekt mit Pfirsichsaft entpuppt.  Huhn, Fisch, Eier und Bratkartoffeln bauen uns wieder auf.  Für 20 Dollar kann man wirklich nicht mehr verlangen, zumal uns  am Ende auch noch die talentierte, mutige und unerschütterliche Sängerin Ruth erfreut, der der Lärm der Gespräche, das Klappern des Geschirrs und das Gerenne des Personals offenbar nichts anhaben können (ich schaudere innerlich, aber wenn sie’s so mag).  

MUSICAL

Nun aber auf zum Broadway !  Vom Sondheim-Theater als solchem bin ich erst einmal enttäuscht – kein roter Plüsch und Kronleuchter – es ist nur ein schwarzer Kasten. Aber man sitzt gut, sogar oben auf den preiswerteren Plätzen und das Musical Beautiful Carole King ist einfach umwerfend gut gemacht: Das Dekor, die Kostüme und die Regie sind fabelhaft, alle Schauspieler singen und tanzen sich die Seele aus dem Leib – ihr Enthusiasmus ist ansteckend !

Wenn ich auch leider die lustigen Pointen in den Dialogen nicht immer mitbekomme (dazu reden sie einfach zu schnell – genau wie wir in Paris!) so ist die Handlung doch relativ einfach und noch dazu ’nach einer wahren Begebenheit‘. Carole King ist vier Jahre älter als ich und ist eine sehr bedeutende amerikanische Songschreiberin bzw. Komponistin und später auch Sängerin. Von den Hits, die sie mit ihrem Ehemann Gerry Goffin schrieb, kamen viele in die Top Ten der 60ger Jahre, zum Beispiel „Locomotion“. Später schrieb sie für Aretha Franklin „Natural Woman“ und das war dann auch der Durchbruch für sie als Sängerin. Was ich besonders schön finde, ist, dass ich von oben den Dirigenten im Orchestergraben sehen kann – und dass ER all die Klavierpassagen spielt —einfach toll ! WIE SCHÖN dass es Youtube gibt: .

Beschwingt stehen wir wieder auf der 53. Straβe und da wir heute fast den ganzen Tag über drin gesessen haben, schlage ich Mi eine Busfahrt zum Central Park vor. Die klappt auch gut und schnell, wir fahren die vornehme  Madison-Avenue hinauf und da passiert wieder eine dieser Begegnungen, die eine Reise so reizvoll machen.

Es steigt eine füllige alte Dame mit Stock ein und fällt fast auf mich. Sie entschuldigt sich wortreich und beginnt mit mir ohne Umschweife ein Gespräch über —- Helmut Kohl ! Der ist gerade gestorben und das geht ihr offenbar sehr zu Herzen. Sie schwärmt MIR vor, was der Mann alles geleistet habe für Deutschland und als ich ihr sage: „I know all that because I lived it“, guckt sie erst etwas schief und dann lacht sie mich an und ich muss ihr haarklein von meinem Leben in Paris erzählen, bis sie kurz vor uns aussteigt. Lustig und nur alt vom Körper her, aber nicht vom Gesicht und Geist !  

Wir haben von allen Seiten gute Tipps für New York bekommen und Eric, unser netter Nachbar aus Princeton, hat uns einen Rundweg um das Reservoir vorgeschlagen, also machen wir uns trotz der Hitze auf die Strümpfe, gemeinsam mit Joggern, Roller- und Radfahrern.      

Wir laufen am Metropolitan Museum vorbei und ich bin einmal mehr erstaunt, wie selektiv das Gedächtnis ist, denn ich hatte total vergessen, dass es neben dem Reservoir auch noch drei andre kleine Seen gibt. Am Ufer des gröβten lassen wir uns aufatmend zu einem kühlen Bier nieder, denn ein kleines Glas Rosé kostet hier glatt 14 Dollar ! Aber die Aussicht lohnt sich – sogar eine Gondel mit passendem Gondoliere zieht vorüber, und wir genieβen den Abend, der sich langsam auf den Park senkt! 

Die Musik von den “Saints go marching in“ begleitet uns auf unserem Weg nach Hause. Ein schöner Tag war das – ab Mittag!

HIGH LINE WHITNEY-MUSEUM, GREENWICH…

Montagmorgen gehen wir direkt zu Fuβ vom Hotel los, Richtung Südosten. Wir sind bis jetzt jeden Tag zehn Kilometer gelaufen und heute werden es sicher genau so viele.  Unser erstes Ziel ist die High Line, eine alte Güterbahnlinie, die zu einem sehr angenehmen Fuβweg  umgewandelt worden ist — und wie ein Zwilling unserer ‚Promenade plantée‘ in Paris ähnelt.

Es ist heiβ, aber auszuhalten, und wir sind gespannt auf das Whitney-Museum, das am Ende des Weges auf uns wartet. Es wurde von Renzo Piano gebaut.

Wir haben Glück: es gibt eine Mobile Ausstellung von Alexander Calder und ich bin völlig begeistert, zumal   ich nicht wusste, dass er der Erfinder dieser feenhaften Objekte ist, die ich als Teenager – sehr viel bescheidener natürlich – auch gebastelt habe. Und sofort bekomme ich wieder Lust, es noch einmal zu probieren. Von Calder stammt der Satz:

Wenn alles klappt, ist ein Mobile ein Stück Poesie, das vor Lebensfreude tanzt und überrascht.

Nachdem wir uns im Hotel zwei Stunden ausgeruht haben, geht es wieder los, diesmal in Richtung Greenwich Village. Mit diesen typischen Straβen, die man in tausend Filmen gesehen hat, und den Studenten überall, kommt es mir wie eine aus Kreuzberg und Quartier Latin vor.

Wir gehen am Washington Square vorbei,  essen bei einem Chinesen „The best fried rice of New York“ (naja….) und beenden den Tag im Fat Cat Club, einer für mich sehr merkwürdigen Mischung aus Jazzkeller im Garagenlook mit viel Platz für Tischtennis-, Scrabble- und Billardspieler, die auch zuhören dürfen.

INDEPENDENCE DAY

Dienstag, 4. Juli 2017, Nationalfeiertag und dementsprechendes Wetter ! Nachdem wir auf Herz und Nieren durchleuchtet geworden sind, dürfen wir das Schiff besteigen, das uns zu Miss Liberty bringen wird. Wieder völlig neue Eindrücke vom Hafen und der Skyline von New York sowie der Dame selber.

Nach unseren Fahrten auf der Spree und der Elbe im Mai ist dies hier nun wirklich etwas ganz Anderes.

Je näher wir der Freiheitsstatue kommen, desto mehr werden wir uns ihrer Einmaligkeit bewusst. Das Museum, welches in ihrem Sockel versteckt ist und uns ihre ganze Geschichte erzählt, wird uns zwei volle Stunden faszinieren. Es ist aber auch eine tolle Story, die – na klar – in Frankreich beginnt und zwar mit dem Elsässer Bildhauer Frédéric-Auguste Bartholdi. Der ist begeistert von dem weltberühmten Koloss von Rhodos und möchte für den Eingang des Suezkanals ein weibliches Pendant dazu schaffen. Die Dame soll „Ägypten bringt das Licht nach Asien“ verkörpern – doch sein Projekt wird fallen gelassen.

Bartholdi gibt trotzdem nicht auf und benennt nun das Modell seines Plans um in „Die Freiheit trägt das Licht der Aufklärung in die Welt“ (angelehnt an das berühmte Bild von Delacroix „ Die Freiheit lenkt die Welt“). Miss Liberty soll 1876 zum Hundertjährigen Geburtstag der Unabhängigkeitserklärung von Amerika die Freundschaft zwischen Frankreich und den USA bekräftigen. Tagelang sucht der Meister nach einem geeigneten Standpunkt und findet ihn auf der winzigen Insel Bedloe an der Hafeneinfahrt von New York: von überall aus wird man die hohe Statue sehen können, die ihrerseits „das Meer und Frankreich“ anschaut.

Die Dame wird so hoch wie ein 22stöckiges Gebäude, genau 92,99 m – und das zu einer Zeit, wo die meisten Gebäude New Yorks nur vierstöckig sind! Gebaut wird sie natürlich in Paris, auf einem Terrain von 3000 m. Gustave Eiffel, der noch nicht seinen Turm gebaut hat, ist maβgeblich mit seinem Chefkonstrukteur Maurice Koechlin daran beteiligt. Es ist wirklich spannend zu lesen, wie die Statue in Paris gebaut wurde, dann in Teile zerlegt und in 241 Kisten verpackt nach New York verschifft wurde. Dort kam sie mit einer kleinen Verspätung von zehn Jahren 1886 an und als man sie hundert Jahre später restauriert, fand man heraus…. dass die arme Lady 100 Jahre mit einem falsch herum eingeschraubten Arm verbracht hatte ! Nun geht es ihr aber endlich gut.

Selten hat mich ein Bauwerk so fasziniert wie dieses: das Gesicht von Bartholdis Mutter, das „zarte Füβchen“ und die revolutionäre Ausführung von Gustaf Eiffel von der Zeichnung über das Modell zur fertigen Statue, an deren  „Rückrat“ man hinaufklettern kann.

Davon nehmen wir allerdings Abstand und fahren weiter mit einem anderen Schiff hinüber zu Ellis Eiland. Dort landeten in den Jahren 1892 bis 1924 ZWÖLF MILLIONEN Migranten aus der „alten Welt“ ! Schon zu der Zeit waren die Gründe genau dieselben wie heute: Armut oder Verfolgung wegen religiöser oder politischer Überzeugung. Und auch damals war die Überfahrt in spartanisch ausgestatteten Schiffen unter unmöglichen hygienischen Bedingungen wahrlich keine Kreuzfahrt. Aber es gab einen gewaltigen Unterschied zu dem, was heute jeden Tag im Mittelmeer passiert: Es gab keine Schlepper, sondern die Einwanderer, die aus irgendwelchen Gründen (meistens psychische oder physische Krankheiten) abgelehnt wurden, mussten gratis wieder von den Schiffen zurück nach Europa gebracht werden. Viele zogen es allerdings vor, sich auf hoher See ins Meer zu stürzen. Ellis Eiland ist so etwas wie ein Nationalheiligtum geworden, denn fast vierzig Prozent aller Amerikaner haben einen Vorfahren, der hier durch musste.

Dieses gewaltige Gebäude auf Ellis Eiland sahen die Einwanderer als erstes nach der Freiheitsstatue. Damals gab es die Bäume noch nicht und so muss es ihnen wie ein Palast aus Tausend und Einer Nacht erschienen sein, wenn sie nach der fast unmenschlichen Reise endlich am Ziel ihrer Träume ankamen. Wir betreten einen Saal von riesigen Ausmaβen, in dem die Ankommenden erfasst wurden (bis zu 5000 Menschen pro Tag !), und sehen dann in einem Kinosaal einen von Gene Hackman gesprochenen Dokumentarfilm über jene Zeit. Einer der Migranten, der bleiben durfte, sagt bitter:

Ich dachte, die Straβen seien hier mit Gold gepflastert. Aber sehr bald sah ich, dass sie gar nicht gepflastert waren, und dass ich dazu da war, das zu besorgen.

Es hat sich nichts geändert – auch nicht die überglücklichen Gesichter von denen, die hier ein neues Leben ohne Todesgefahr beginnen können und glücklich sind, selbst in ihrer Armut. Ein zu Herzen gehender Film !

Wir fahren zurück und nach Brooklyn, um dort auf der wunderschönen Promenade die Aussicht auf Manhattan zu genieβen.

Gleichzeitig warten wir auf das berühmte Feuerwerk, dass around 9.30 p.m. something (!) stattfinden soll. Das wird nun allerdings der Reinfall unseres Aufenthaltes. Aus Angst vor einem erneuten Attentat – sechzehn Jahre nach den Twin Towers sitzt der Schock immer noch tief ! – wird der Ort des Geschehens möglichst geheim gehalten, damit die acht Millionen New Yorker plus Touristen sich nicht alle an einer Stelle versammeln. Also müssen wir uns mit einem wunderbaren Blick auf die Skyline am Abend zufrieden geben. Es gibt wahrhaftig Schlimmeres…

Wir sind einmal mehr erstaunt, wie friedlich die Amerikaner mit so einer Situation umgehen. Niemand nervt oder schreit herum „Unmöglich sowas! Ein Skandal…“ würde man in Paris hören. Aber hier gehen alle einfach friedlich nach Hause. Wir haben allerdings Pech, denn unsere U-Bahnstation ist ausgerechnet an diesem Abend wegen Bauarbeiten geschlossen ! Auch da bleibt die Schaffnerin sehr gelassen und erklärt mir geduldig zwei Mal, wie wir zur nächstmöglichen Station kommen. Aufatmend sitzen wir zehn Minuten später im Zug — der an unserer Station glatt vorbei fährt (es ist ein „Express“, was ich leider nicht verstanden hatte) und so dürfen wir zu den 11 km dieses Tages noch einen drauf legen, um wieder in unserem Hotel anzukommen. Glücklicherweise hat der vorige New Yorker Bürgermeister, Rudolph Guiliani, mit seiner Devise „Null Toleranz“ gegenüber dem Rotlichtmilieu so gut aufgeräumt, dass auch zwei Senioretten am späten Abend nichts zu fürchten haben.

Die letzten beiden Tage vergehen mit Besuchen im berühmten Moma und in Soho sowie dem Nolita, wo sich Nobelboutiquen mit kleinen bescheidenen Geschäften abwechseln. Wir müssen natürlich auch eine der von Regina empfohlenen rooftopbars besuchen mit Blick auf die berühmten Wolkenkratzer (ich liebe dieses Wort) von New York.

Das letzte Highlight ist das Überqueren der berühmten Brooklyn Bridge, von wo man herrliche Ausblicke auf die im Morgenlicht golden glänzende Stadt hat.

Und so nehmen die „Girls from the Brooklyn Bridge“ Abschied von dieser einmaligen Stadt.

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