„Good morning ladies, was darf’s denn sein? » fragt uns der freundliche Mann mit Schürze im Garten seines Coffeeshops von Santa Monica. Unser kleiner Morgenspaziergang am Strand des pazifischen Ozeans hat uns Appetit gemacht und genüsslich studieren wir die Speisekarte, denn das erste Essen in einem neuen Land ist immer eine spannende Sache! Noch dazu draußen, morgens um acht im warmen Sonnenschein von Los Angeles, in dessen schickem Vorort Santa Monica unser Hotel steht. Letzteres ist zwar schön billig für hiesige Verhältnisse, aber leider weder besonders sauber noch ruhig, da an einer Ausfallstraße gelegen.Für die erste Nacht machte uns das aber nicht viel aus, da wir gestern nach dem zehnstündigen Flug doch rechtschaffen müde waren. Glücklicherweise läuft die Zeitverschiebung von neun Stunden auf der Hinreise zu unseren Gunsten. Wir sind um 18 Uhr Ortszeit in Paris losgeflogen, haben heldenhaft dem Schlaf wider- standen, und waren um 20 Uhr Ortszeit am internationalen Flughafen von Los Angeles.
Nun dürfen wir sofort erfahren, was amerikanische Disziplin heißt : sich genau in DIE Reihe zu stellen, in welche uns eine der dicken uniformierten Frauen einweist und hübsch Abstand halten zum Vordermann, damit man dessen hochheiliges private life nicht etwa belauschen kann bei der Befragung durch die Autoritätsperson vom Einwanderungsbüro. Allerdings gehen dann die Formalitäten rasch über die Bühne und schon eine Stunde später sitzen wir in unserem funkelnagelneuen, vollautoma- tischen petrolfarbenen Mietwagen Nissan Altima. Ich bewundere wieder einmal Mireille, die nach einem Zehn-Minuten-Blitz-Studium der von Avis beigefügten Papiere das Auto einfach anlässt und damit wegfährt, als ob sie es schon jahrelang kenne. Dann allerdings darf ich als Co-Pilotin glänzen und uns durch die schwarze Nacht und mit nur einem ganz kleinen falschen Schlenker über die nächtlichen Highways zu unserem vorbestellten Hotel lotsen. Dort sind wir zwar über die nicht vorhandene Klimaanlage enttäuscht, da sie uns zu offenen Fenstern und also zum Krach von der Straße zwingt, aber inzwischen sind wir doch so müde, dass wir fast schon beim Zähneputzen einschlafen.
Heute Morgen allerdings stehen wir früh auf, denn wir haben ja viel vor. Als Erstes natürlich, zum Meer zu laufen, das nur dreihundert Meter entfernt ist. Die Strandpromenade ist ein ganz kleines bisschen kleiner als der Potsdamer Platz in Berlinund wird fleißig von Joggern und roller bladern besucht, die ihre Hunde (an der Leine!) Gassi fahren. Hübsche Holzhäuser und Cafés locken uns, aber ein Blick auf die Preise der dort ausgestellten Speisekarten lassen uns sehr schnell in unseren einfachen Coffeeshop flüchten.

Hier haben wir inzwischen gewählt: Spiegeleier mit Hot Tinkers (das sind winzige Würstchen) für Mi und Rühreier mit Bratkartoffeln für mich. Vorher selbstverständlich frisch aus kalifornischen Apfelsinen gepresster Saft und dazu Tee für mich und Kaffee für Mi. Riesenenttäuschung: selbiger ist das reinste Spülwasser wie überall im Land und mein Tee ist auch nicht besser. Wir sind eben nicht in England. Aber der Rest schmeckt wunder-bar und so gestärkt können wir dem Tag ins Auge sehen. Auf nach Hollywood !
Wir fahren über den sechsspurigen Santa Monica Drive dem sagenhaften Sunset Boulevard entgegen und der ist dann auch genau wie im Film: in seinem berühmtesten Teil gesäumt von Palmen, Bananenstauden und Bougainvilleas, führt er uns an den Traum-Villen der Stars entlang. Leider sieht man nur ein paar Turm- spitzen oder Dachziegel über die meterhohen Hecken und Mauern blitzen. Weder Barbra Streisand noch Dustin Hoffman lassen sich sehen. Gar nicht nett. Überall stehen warnende Schilder no parking anytime – als ob man vor deren Haus sein Butterbrot im Auto essen wollte! Es wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Anwesen von private security kontrolliert werden. An jeder Straßenecke gibt es kleine Stände, an denen Star-maps angeboten werden, also Karten, auf denen genau eingezeichnet ist, wo welcher Star wohnt! Es riecht nach reich.
Aber uns ist momentan die Filmwelt wichtiger als die reale, denn wir sind zu den Universal Studios unterwegs, die direkt hinter den berühmten HOLLYWOOD Buchstaben liegen.

Der Eintrittspreis ist happig: über siebzig Mark, wobei es mich in diesem Land fürchterlich nervt, dass man nirgends einen festen Endpreis gesagt bekommt, sondern überall werden auf den angegebenen Preis noch Steuern drauf geschlagen. Diese sind auch noch von Stadt zu Stadt und von Staat zu Staat verschieden. Seufz!
Nun denn, teuer ist es also, aber schließlich wollen wir ja auch eines der größten und berühmtesten Film- studios der Welt besichtigen. Heute werden auf diesem überdimensionalen Gelände, inmitten der Hügel hoch über L.A. und deshalb wenigstens ein bisschen kühler gelegen, fast nur noch Fernsehserien gedreht. Um die riesigen Hallen zu amortisieren, hat man aus dem Ganzen eine Art Disney-Welt für Erwachsene gemacht. Wir amüsieren uns wie Bolle!
Zuerst nehmen wir einen kleinen Zug, der mit uns durch das immense Gelände fährt, vorbei an gestellten Szenen wie «Sheriff-erwischt-Räuber-und-erschießt-ihn» oder «Zorro-muss-mal-wieder eingreifen» bis hin zum Fluss, der wie von Zauberhand vor uns zurückweicht, als wir uns ihm nähern. Da fühlt man sich doch wie Moses! Ganz zu schweigen von der völlig ‚echt-falschen‘ River Kwai Brücke, die unter uns zusammenbricht, als wir drüber fahren und – huch ! – King Kong höchstpersönlich, der in einem Tunnel auf uns lauert. Wir werden von einem ‘Erdbeben’ durchgeschüttelt und uns wird heiß in einer täuschend echten Feuersbrunst. Alles ist hervorragend organisiert bis hin zum Sprühnebel, in den man sich stellen kann, wenn es einem in den endlosen Warteschlangen zu heiß wird! Das Schönste heben wir uns natürlich für den Schluss auf: wir gehen durch den Zauberwald von E.T. und dürfen auf einem Fahrrad hinter ihm über Los Angeles hinweg fliegen! Dass die Fahrräder dabei auf Schienen laufen und die ganze Sache nur 3 Minuten dauert (bei einer dreiviertel Stunde Wartezeit) tut unserer Begeisterung keinen Abbruch. Wir kommen wie verzaubert raus und würden uns am liebsten wie die Kinder gleich noch mal hinten an die Schlange anstellen.

Als leider vernünftige Erwachsene fahren wir aber brav nach Santa Monica zurück und genießen die happy hour mit technicolor reifem Sonnenuntergang über dem pazifischen Ozean bei einer Margarita im Dachgartenrestaurant des Huntley-Hotels. Für nur zehn Mark kann man hier zwischen sechs und acht Uhr abends einen Drink und dazu ein kostenloses mexikanisches Buffet bekommen, an dem man sich satt essen kann. Ausgesprochen lecker und wunderbar preiswert! Gelobt sei unser Reiseführer, der mich darauf aufmerksam machte, denn wir wollen unbedingt mit unserem Budget von hundertfünfzig Mark (also einundsechzig Dollar pro Tag und Person) auskommen. Am nächsten Morgen, nach Omelette mit Bratkartoffeln, boxe ich mich per Stadtplan nach Downtown, dem Zentrum von L.A., durch. Wir stoßen rein zufällig auf Chinatown und nehmen den gläsernen Außenfahrstuhl am Hotel Bonaventure, der uns bis in den 35. Stock bringt, von wo aus wir eine herrliche Rundsicht haben. «Teure Rundsicht!» sagt Mi etwas verbittert, da uns die zwanzig Minuten, die der Spaß gedauert, glatte zweieinhalb Dollar kosten, also fast fünfmal so viel wie die Parkgebühren in der Tiefgarage des Hotels, was nun wirklich übertrieben ist.
Trotzdem fahren wir guter Laune gen Süden, in Richtung San Diego, wo wir heute Abend in der Jugendher- berge nächtigen wollen. Die ersten drei Nächte sowie die am Grand Canyon habe ich per Fax aus Paris vorbestellt, um mich hier in Ruhe erst einmal akklimatisieren zu können. Wir haben die Organisation und Arbeit genau unter uns aufgeteilt: Mi fährt und ich verhandle!
Bevor wir aber den Pacific Coast Highway erreichen, müssen wir fast eine Stunde lang durch die Slums von Los Angeles fahren. Hier sehen wir die Autos, von verbeult bis schrottreif, die im vornehmen Norden und Westen der Stadt keinen Platz haben. Wir hatten uns nämlich seit gestern Morgen schon gefragt, ob alle Leute sich hier wohl jedes Jahr ein neues metallic glänzendes Auto leisten können. Nun sehen wir auch die arme Seite der Stadt, von grauenvollen Plattenbauten bis hin zu abbruchreifen Hütten – ein übler Ort.

Dann aber sind wir wieder am Pazifik, fahren an endlos langen und breiten Stränden vorbei und erst nach zwei Stunden wird die Straße kurviger und die Küste steiler. Damit werden auch die Dörfer und Städtchen immer hübscher und eleganter. Man merkt, dass ein Großteil der gut situierten Mittelschicht Amerikas hier seine alten Tage verbringt, denn das Klima ist das ganze Jahr über gleichblei- bend freundlich, also bis fünfundzwanzig Grad Celsius auch im Winter ! Aber damit die Menschen nicht übermütig werden, bleibt die andauernde Bedrohung durch Erdbeben bestehen.Unterwegs halten wir an, um in unserem ersten amerikanischen Supermarkt einzukaufen. Wir brauchen einen Straßenatlas, Wasser und Obst. Uns fällt sofort die sehr höfliche und freundliche, kompetente Bedienung auf. Es gibt praktisch keine Warteschlangen, da genügend Kassen offen sind. Alles ist überdimensional: Milch, Wein und Whisky (!) werden in gallons, also in Kanistern verkauft. Chips gibt es in Tüten von Übergröße – wir haben das Gefühl, dass es hier keine Singles, sondern nur Großfamilien gibt, die nichts anderes tun als nur zu fr… essen.
In San Diego angekommen, besuchen wir den farbenfrohen El Mundo Basar, die leider etwas zu kommerzielle Kopie eines alten mexikanischen Marktplatzes und danach ein sehr interessantes altes Lehmhaus, in dem man das Leben der Spanier der ersten christlichen Mission nachempfinden kann. In dieser Stadt stand ja die Wiege Kaliforniens. Siehe dazu auch die Serie „Zorro“. Wir sind nur noch fünfundzwanzig Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt, haben aber nicht vor, uns selbige anzuschauen, denn Grenzgebiete sind in keinem Land der Welt besonders schön und wir wollen uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren. In der Jugendherberge haben wir das Glück, ein Vierbettzimmer für uns alleine zu bekommen. Allerdings geht das verhältnismäßig kleine Fenster zur Hauptstraße hinaus. Gelobt seien meine Ohrenstopfer!

Wir lassen das Auto auf einem autorisierten Platz stehen, was gar nicht einfach ist, da es auch nachts Überstunden gibt und der Straßenreinigung wegen nirgends geparkt werden darf. Danach streifen wir zu Fuß durch die hübsche Innenstadt, die quasi europäisch anmutet mit von Kugellampen erhellten Straßen, eleganten Geschäften und teuren Restaurants, wo die Leute wie in Paris auf dem Trottoir an Tischen sitzen, um es sich wohl sein zu lassen. Allerdings begegnen wir auch vielen Bettlern oder Menschen, die, gelinde gesagt, etwas eigenartige Verhaltensweisen an den Tag legen. Ein Beispiel ist der alte schwarze Mann, der sich mit Zylinder und Frack herausstaffiert hat, lauthals Evergreens schmettert und versucht, die Passanten in eine Unterhaltung zu ziehen. Oder der riesige dicke Sumo- Amerikaner, der quasi den ganzen Ecktisch des China-Restaurants ausfüllt, wo wir für nur vier Dollar ein reichhaltiges Abendbuffet vorfinden. Danach sind wir nur noch zu einem kurzen Bummel durch die architektonisch interessante Einkaufspassage Horton Plaza fähig, denn alle die neuen Eindrücke haben uns sehr müde gemacht und wir sehnen uns nach Ruhe.
Draußen ist zum ersten Mal alles grau in grau als wir aufwachen und dem von einem netten Passanten empfohlenen Coffeeshop zustreben. Dieser sieht genauso aus wie die in alten Filmen gezeigten und besteht aus einer langen Theke mit viel Holz und vergilbten Postern – zugleich gemütlich und eben doch total amerikanisch. Wir bekommen eine richtige Frühstücksspeisekarte vorgelegt, auf der neben den normalen amerikanischen Genüssen auch chinesische Gerichte nebst Bier angeboten werden. Auf das Experiment eines chinesischen Frühstücks wollen wir uns aber nicht einlassen und ich entscheide mich für umwerfend köstliche Crêpes mit Ahornsirup, während Mi bei Spiegeleiern ‘easy over’, das heißt von beiden Seiten leicht gebacken, bleibt. Schade nur, dass auch hier sogar der Tee nicht schmeckt, vom Kaffee ganz zu schweigen. Das ist aber auch das Einzige, was an dieser reichhaltigen und billigen Mahlzeit auszusetzen ist. Wir haben auf der ganzen Reise nie mehr als höchstens fünfzehn Mark für unser beider Frühstück bezahlt.
Wir fahren durch die morgendlichen Straßen von San Diego, die alle fein säuberlich rechteckig angelegt sind, am Hafen vorbei, wo ein schönes Segelboot liegt, bis hin zur « Sea World ». Dort erleben wir erst einmal eine fabelhafte Vogelschau mit Flamingos, Papageien, Reihern, Falken und selbst Adlern, die von einem fünfzig Meter über uns schwebenden Zeppelin herunterstoßen, um millimetergenau auf der behandschuhten Hand ihrer Dresseure zu landen. Toll! Weiter geht es nun zu den Delfinen und den Walen, deren Shows in großen Arenen stattfinden.


Wir sitzen eingekeilt zwischen zwei dicken Amerikanern, die schwitzen. Inzwischen ist die Sonne wieder hervorgekommen und selbstredend werden Cola, Popcorn und Eis von allen möglichen fliegenden Händlern feilgeboten. Unsere Nachbarn stopfen das in sich hinein, als ob sie seit dem Sezessionskrieg nichts mehr zu futtern gekriegt hätten. Es ist mir ein Rätsel, wie man um zehn Uhr morgens schon wieder essen kann nach dem hier üblichen üppigen Frühstück!
Auch für unser seelisches Heil wird gesorgt, denn es darf ja um Himmels willen kein Leerlauf entstehen, man könnte ja mal Luft holen wollen zwischen zwei Reizen! Also kommt da ein Mensch in denselben gräßlichen langen Shorts, wie sie hier alle Männlein und Weiblein tragen, auf die Bühne, begrüßt uns und singt, sich auf der Klampfe begleitend, in unschönster Pfadfinder-Manier ein Lied drei, vier…
Netterweise warnt er uns vor den Delfinen, die gleich kommen werden. Wir sitzen im unteren Drittel, da wir die Tiere möglichst von Nahem sehen wollen – aber geduscht haben wir heute Morgen schon und so rücken wir lieber drei Reihen hinauf. Aber auch das reicht noch nicht, denn die entzückenden Tiere schaufeln lächelnd meterweise Wasser mit ihren riesengroßen Schwänzen ins Publikum. Wir trocknen aber rasch wieder und sind außerdem derartig gefesselt von der Intelligenz und der Grazie sowohl der Delfine als auch der Wale, dass wir alles andere glatt übersehen – was mir den ersten leichten Sonnenbrand einbringt. Auch die Otter-Show, die wir als letzte sehen, ist umwerfend gut gemacht und sehr beschwingt kommen wir wieder bei unserem Auto an.
Dort nehme ich den Atlas, um mich zu orientieren. Wir hatten uns am Morgen nämlich genau da hinstellen müssen, wo der zuständige Wächter es wollte. Vor, hinter und neben uns war aber überall noch viel Platz. Da rede mir doch einer von deutscher Disziplin! Jedenfalls steht plötzlich, wie aus dem Boden geschossen, ein Polizist neben uns und fragt, ob er helfen könne. Nachdem wir höflich verneinen, ist er ebenso blitzartig und – ja, hier passt ausnahmsweise mal das Wort ‘unheimlich’ – schnell verschwunden wie er gekommen ist. Big Brother is watching you…
Jetzt fahren wir ab, in Richtung der Wüste von Arizona. Zunächst noch über Berge, die in Sizilien oder Griechenland genauso aussehen, das heißt über tausend Meter hoch und nur spärlich mit Gras bewachsen. Dann geht es auf der anderen Seite in großen Serpentinen wieder hinunter und plötzlich ist da diese immense, flirrende, völlig ebene Fläche vor uns und Mi hat nichts Anderes mehr zu tun, als mit einem Fuß auf das Gaspedal zu drücken und immer geradeaus zu fahren. Ich mache Konversation, damit sie nicht einschläft! Nach drei Stunden halten wir an, um uns ein bisschen die Beine zu vertreten. Mi steigt als erste aus — und blitzartig wieder in unser Klima gekühltes Auto ein. « Versuch du es mal », sagt sie zu mir und ich öffne die Tür — eines Backofens! Draußen ist es windig und so heiß, wie ich es in meinem Leben noch nie erlebt habe. So stelle ich mir wirklich die Hölle vor!! Da wir auf einem Parkplatz gehalten haben, taucht auch sofort wieder ein Wächter auf, der uns freundlich seine Hilfe anbietet, was uns wirklich beruhigt: falls wir mal ein Problem haben sollten, brauchen wir nicht gleich in Panik auszubrechen, denn man ist hier tatsächlich in Lebensgefahr durch Hitzschlag!

Zwei Stunden später halten wir in Gila Bend, einem typisch amerikanischen Straßendorf, bestehend aus zwei Tankstellen, drei Motels, einem MAC DO, dem üblichen Coffeeshop and that’s it! Wir finden sofort ein tolles Zimmer mit Klimaanlage, Badezimmer, riesigen Betten und Kaffeemaschine für sechzig Dollar. Während Mi auspackt, stürze ich mich in den winzigen Pool, der von Palmen umsäumt ist und die 38 Grad abends um sieben einigermaßen erträglich macht. Bunte exotische Vögel zwitschern mir eins und ich fühle mich wie in Afrika. Das ist also die Wüste von Arizona.
Dieser Staat hat einen großen Nachteil, denn hier herrscht, anders als in Kalifornien, sogar im Restaurant Alkoholverbot! Zu unserem gebratenen Hühnchen mit Kartoffeln aus dem Backofen und Sauerrahm müssen wir mit Coca Cola oder Wasser vorlieb nehmen. Dabei haben sie hier folgenden Tick: Wasser kommt grund- sätzlich nur eisgekühlt auf den Tisch, in riesigen Pappbechern oder Gläsern, die noch mal mit Eiswürfeln angefüllt sind. Meine Zähne und mein Magen protestieren ganz energisch dagegen und nach ein paar Tagen haben wir den Trick raus. Wir bestellen einen extra Teller (Aschenbecher gibt es ja sowieso nicht wegen des Rauchverbots) und dann löffeln wir die Eiswürfel raus. Das ist zwar etwas mühsam, aber besser als dieser Kälteschock, der im krassen Gegensatz zu den draußen herrschenden Temperaturen steht.
Auch am nächsten Morgen, als wir um neun Uhr abfahren, steht das Thermometer schon wieder auf 30° und wir danken dem Mann, der die Klimaanlage erfunden hat, von Herzen! Weiter fahren wir durch die Wüste, an deren Horizont senkrechte Berge auftauchen. Das Land wird also nicht erst hügelig, dann wellig und schließ- lich zum Gebirge, nein, es geht alles sofort und abrupt zu: hier Ebene, dort Berge.
Schon am Mittag befinden wir uns in einer total anderen Landschaft. Rote Felsen, rote Berge, fabelhafte Ausblicke auf das Städtchen Sedona, das so eine Art Zentrum des New Age sein soll. Da wir nicht sonderlich esoterisch angehaucht sind, wollen wir hier nur anhalten, um ein Einkaufszentrum zu besichtigen, das unser Führer anpreist. Es hat den unaussprechlichen Namen Talakapaké und ist einem mexikanischen Dorf nachempfunden.

Himmelhohe Platanen spenden Schatten, das Murmeln der Springbrunnen erweckt den Anschein von Kühle, viel Grün und Blumen erfreuen überall das Auge. Die Geschäfte sind sehr geschmackvoll und teuer eingerichtet. Das Ganze gefällt uns sehr. Ich kaufe mir passend zum Kleid und zu meinem kleinen Rucksack ein Portemonnaie aus weichem, duftendem roten Leder. Später lassen wir uns für eine kleine Siesta am von Libellen umschwirrten Oak Creek nieder, bevor wir weiter nach Flagstaff fahren. Die Straße windet sich am Flüsschen unter großen Bäumen entlang, bis wir in herrliche Wälder eintauchen, und auf einmal sieht es wie im Harz aus. Es ist einfach unglaublich, wie schnell die Landschaften und Stimmungen hier wechseln!
In Flagstaff ist es zwar immer noch sehr heiß, aber derartig windig, dass wir wenigstens’durchgelüftet‘ werden. « Sie dürfen gerne telefonieren », sagt die Dame vom Fremdenverein und fügt lächelnd hinzu, es sei sicher besser, wenn ich nicht sage, dass wir aus Paris kommen, denn selbst hier gebe es nicht besonders nette Hoteliers, die Touristen mehr Geld abknöpfen als den Einheimischen. Dieses Städtchen ist nämlich pickepackevoll, da wir erstens Samstag haben und zweitens nicht mehr weit entfernt vom Grand Canyon sind. Immerhin finde ich nach einer kleinen Stunde Suchens etwas in unserer Preislage, und nachdem wir uns eingerichtet und frisch gemacht haben, gehen wir gleich wieder los zum Stadtbummel.

Flagstaff ist kein Straßendorf sondern hat ein richtiges Zentrum mit vielen Modegeschäften, Schnickschnack und Sachen fürs Haus, Restaurants, Hotels und Bars. Nur eines fehlt – ein Lebensmittelgeschäft! Wer sich etwas zu essen kaufen will, muss in einen der tiefgekühlten bzw. klimatisierten Supermärkte am Rande der Stadt fahren, die rund um die Uhr offen sind. Daher kommt es, dass wir dort erst um halb elf Uhr abends Postkarten, ein Buch und Wasser einkaufen, nach einem sehr guten Dinner in einem netten Restaurant. Dort gibt es eine ausgezeichnete Brokkoli-Suppe nebst dem nun zum dritten Mal hier üblichen Tex-Mex-Essen und dazu einen Volkssänger, der glatt aus den 70er Jahren übrig geblieben ist und wie eine Karikatur seiner selbst wirkt: lange Haare, Gitarre, Lieder von Bob Dylan und Joan Baez…
Als wir am nächsten Morgen über eine der Ausfallstraßen abfahren, fällt uns wie schon in den anderen Städten auf, dass sehr viele Häuserwände hier als Reklamefläche benutzt werden, entweder mit übergroßen Fotos, die auf die Wände projiziert werden, oder mit „trompe l’œil“ Malerei. Das versteckt natürlich auch hässliche Fassaden. Der Terrorismus den Rauchern gegenüber ist so schlimm, dass sogar Mi aus reinem Trotz wieder Lust bekommt, sich eine Zigarette anzustecken! Ein Beispiel auf einer überdimensionalen Anzeigentafel:
Gestatten Sie, dass ich rauche?
Gestatten Sie, dass ich sterbe?
und darunter noch, um das Maß voll zu machen: «227 Rauchertote allein in diesem Jahr». Netterweise wird uns dabei nicht gesagt, ob sich das auf diese Stadt, den Staat oder die ganzen USA bezieht….
Auf unserer Fahrt verschwinden nach und nach die Bäume und die Büsche wieder, die Landschaft wird öde. Wir fahren auf den Colorado River und die Vermilion Cliffs zu, einer gigantischen Kette roter Felsen. Hier wurden viele Western gedreht.

Am Straßenrand tauchen dürftige Stände der noch überlebenden Navajo-Indianer auf, die dort handgearbeiteten « Schmuck » zum Verkauf anbieten. Dieser sieht dem, den ich vor über vierzig Jahren mit meinen kleinen Händen im Kindergarten hergestellt habe, täuschend ähnlich. Mir wird ganz flau, als ich auch noch das Schild «Chief Big Horse loves you » lese: als ob der Häuptling „großes Pferd“ eine Zivilisation, die sein Volk ausgerottet hat, bzw. nur unter demütigenden Umständen überleben lässt, lieben könnte!Wir schauen über das Brückengeländer auf den sich tief unter uns windenden blauen Colorado River. Bevor 1963 weiter oben die Talsperren gebaut wurden, trieb der Fluss täglich fünfhunderttausend Tonnen Sand vor sich her und bohrte sich seinen Weg durch das besonders weiche Felsgestein, so dass der Grand Canyon eigentlich nichts weiter als eine Felsschlucht ist – nur eben eine von gigantischen Ausmaßen.
Wir fahren weiter, steigen auf zweitausendvierhundert Meter hoch, was man aber überhaupt nicht merkt, da wir uns auf einer Hochebene befinden. Endlich wird es ein bisschen kühler. Die Landschaft bekommt alpinen Charakter, mit gewaltigen Tannen, Fichten und Kiefern, aber auch Bäumen, deren Namen uns völlig unbekannt sind und die von großen bunten Schmetterlingen umgaukelt werden.
Mittags um eins kommen wir am Nordrand des Canyons in der Lodge an, also in dem Haupthotel, um das circa siebzig Blockhäuser, Restaurants, Läden und das obligate Visitor’s Center harmonisch herum gebaut sind. Der erste Blick auf den Grand Canyon von der Terrasse herab ist einfach überwältigend! Dies ist wirklich eines der Wunder unserer Welt und wir fühlen uns sehr klein.

Wir bekommen den Schlüssel zu unserer schon vor zwei Monaten reservierten Blockhütte, die sehr gemütlich eingerichtet ist und sogar über eine Dusche verfügt.
Den ganzen Nachmittag lang fahren wir von Ausblick zu Ausblick, um möglichst viel von der einmaligen Landschaft mitzubekommen. Das Schönste ist natürlich danach der Sonnenuntergang, den wir auf einem Felsen sitzend genießen. Wir wissen sehr wohl, dass dieser Abend in unserem Leben einzigartig ist!


Dann gehen wir in der Abenddämmerung noch ein bisschen spazieren, zum ersten Mal mit langen Hosen und Pulli, denn hier oben wird es jetzt etwas kühl. Falls wir doch einmal im Lotto gewinnen sollten, suchen wir uns jetzt schon sicherheitshalber das schönste Blockhaus aus, nämlich Nummer 309, direkt am Rand gelegen, von dessen Terrasse (die leer ist!) man den wunderschönsten Blick hat. Aber auch auf der Schwelle vor unserem Häuschen lässt es sich bei einer Zigarette und einem Glas Wein – welch ein Fest! – gut träumen.

Wir schauen auf den über uns funkelnden Großen Wagen und sind uns mal wieder einig: sicher wäre die von den Rangers vorgeschlagene Sternenwanderung informativ und schön gewesen, aberweniger ist nun mal mehr. Wir sind wie beschwipst von all dieser Schönheit und wollen diesen Rausch erst einmal ausschlafen.

„Wetten, dass es in Paris regnet?„frage ich Mi am nächsten Morgen. Wir schreiben den 14. Juli, Nationalfeiertag in Frankreich und ich denke voll Häme an den „armen“ Chirac, der jetzt barhäuptig und klitschnass vor seinen blöden Panzern die Champs-Elysées abschreiten muss, während bei uns die Sonne strahlt und wir einem der Höhepunkte unserer Reise entgegengehen. Das ist ganz sicher das Frühstück in der dreiβig Meter langen und zehn Meter hohen Festhalle der Lodge mit Blick auf den Grand Canyon! Wir sitzen und speisen geradezu fürstlich vor diesem einmaligen Panorama. Obstsalat und frisch gepresste Säfte, Eier mit Bacon und Kümmelkartoffeln, Crêpes mit Ahornsirup und endlich, endlich ein guter Tee sind unser Frühstück! Wir wissen gar nicht, was wir mehr bewundern sollen: die Aussicht, das tolle Essen, den perfekten Service? Jedenfalls genießen wir jede Minute mit allen Fasern!
Um die gerade aufgenommenen Kalorien wieder abzuwandern, steigen wir nun ungefähr drei Stunden lang auf dem trail, einem der vorgezeichneten Wanderwege, in die Tiefe. Wenn wir wirklich die tausendfünfhundert Meter bis zum Colorado absteigen wollten, wäre es heute schon viel zu spät, denn es ist bereits zehn Uhr morgens und sehr heiß. Und das Schlimme bei solch einer Wanderung ist, dass der anstrengende Teil am Ende kommt, denn man muss ja leider wieder hinauf. Sogar die durchtrainierten Rangers machen das nicht an einem Tag, sondern übernachten am Boden des Canyons in speziell eingerichteten Camps. Das gesamte Gelände ist ein Naturschutzgebiet, weshalb auch nur ein bestimmtes Quantum an Menschen unten geduldet wird. Wir kehren also um. Während des ganzen Aufstiegs leiden wir schrecklich unter der Hitze. Da hilft nur eins: die Zähne zusammenbeißen und daran denken, dass vor zwölf Millionen Jahren hier das kühle Meer rauschte — über achthundert Kilometer von der heutigen Küste entfernt. Da kommt man schon ins Träumen.
Als wir oben am Rand wieder ankommen, sind wir über und über von rotem Staub bedeckt und müssen uns erst einmal reinigen und ein bisschen ausruhen. Danach fahren wir nach Kanab weiter, wo wir hoffen, ein Flugzeug oder einen Helikopter zu erwischen, die über den Canyon fliegen. Das klappt nun allerdings nicht, weil alle Flugzeuge nur vom Südrand des Canyons starten dürfen. Obwohl wir nur achtzehn Kilometer Luftlinie von diesem entfernt sind, hätte es einen Umweg von zweihundertfünfzig Kilometern bedeutet, extra dorthin zu fahren.
Der nette Mechaniker, mit dem wir uns eine Weile auf seinem winzigen Flugplatz unterhalten, tröstet uns. Die Umweltschützer haben nämlich schon seit ein paar Jahren erreicht, dass kein Helikopter mehr in den Canyon hinein darf. Sämtliche Flugkörper dürfen nur noch am Rand entlang fliegen und wir würden fast nicht mehr sehen als das, was wir schon gratis genossen haben. Da diese Flüge auch noch sehr teuer sind, haben wir no regrets. Auf schnurgeraden Straßen, wo Mi mal wieder nichts zu tun hat, als Gas zu geben, fahren wir dann weiter zum Lake Powell, der in der untergehenden Sonne wie ein funkelnder Edelstein glitzert. Ich hätte nie gedacht, dass himmelblau so treffend die Farbe eines Sees beschreiben kann.

Nun brauchen wir ein Dach über dem Kopf für heute Abend und das wird diesmal gar nicht einfach. Zum ersten und einzigen Mal auf der ganzen Reise begegnen wir unfreundlichen Leuten. Alle Hotels sind voll und sehr teuer. Mit Mühe und Not finde ich für uns ein Zimmer für siebzig Dollar. Zu Abend essen wir in einem sehr schicken Restaurant der Marina, dem Hafen, von wo aus die Boote über den See starten. Um aber dorthin zu kommen, müssen wir extra eine Mautgebühr bezahlen und das vegetarische Essen ist zwar sehr gut, aber auch sehr teuer. Ist es nicht schade, dass, je schöner ein Platz ist, er desto mehr kommerziell ausgebeutet wird?
Am nächsten Morgen wundern wir uns einmal mehr darüber, dass es in diesem Land in sämtlichen Berufen bis hin zum Straßenbau (!) so unwahrscheinlich viele dicke Frauen, sei es in langen Hosen drinnen oder in Shorts draußen, gibt. So z.B. unsere Frau Kapitän auf dem Schiff, das uns über den See fährt. Sie ist nicht mehr die Jüngste und redet unerbittlich. Sie redet, um uns zu begrüßen und um uns die Geschichte des Sees, der eigentlich eine Talsperre ist, zu erzählen. Sie redet, während sie uns ‘umschichtet’ , das heißt, dass nach der Hälfte der Reise die Passagiere, die oben auf dem Sonnendeck die fabelhafte Aussicht auf die fast dreiβig Meter hohen roten Felswände genießen durften, mit denen, die unten im Bauch des Schiffleins saßen, tauschen müssen. Sie redet, während wir in den immer enger werdenden Navajo Canyon fahren, wo sie dank ihrer vierzehnjährigen Berufserfahrung sehr geschickt wendet. Und als sie den Passagieren wirklich nichts mehr zu sagen hat, redet sie mit einer anderen Frau weiter und erzählt ihr gnadenlos alles über ihren Mann, ihre Kinder, ihre Familie und Bekannten. Als wir aussteigen, sind wir etwas erschöpft vom gleißenden Licht (trotz Sonnenbrille) auf dem Wasser und von dieser Stimme, der nicht zu entgehen war.
Staunend stehen wir dann vor der überdimensionalen Mauer der Talsperre, die so groß ist, dass es ZEHN Jahre brauchte, bis sie vom Wasser des Colorado Rivers und vom Regenwasser aufgefüllt war. Diese und andere Informationen bekommen wir im Visitor‘s Center und noch dazu ein wunderschönes Puzzle vom See. Zwar hat es nur fünfhundert Teile, was eigentlich unter unserer Würde ist, aber die Teilchen sind so total anders gezackt als die europäischen, dass wir an uns halten müssen, um es nicht sofort auszuprobieren. Das geht aber nicht, denn wir wollen ja jetzt zum Monument Valley.
Eigentlich wollte nur Mi dahin, ich nicht unbedingt. Freund Christian hatte mir abgeraten und gemeint, die Hauptattraktion kenne man ja zur Genüge aus sämtlichen Western und ansonsten seien da eben rote Felsen. Hier irrte aber unser Freund! Tatsächlich sehen die Felsen von weitem wie auf Sockel montierte Ausstellungsstücke aus, aber richtig kann man sie nur erfahren, wenn man sie von allen Seiten umrundet.
„Die Hand mit Daumen“ hebt sich herrlich gegen den blauen Himmel ab und „Der Heilige, der nach Osten blickt“ und einen anderen grüßt, ist ebenfalls viel interessanter als es auf den ersten Blick aussieht. Dank unserer Automatik hat Mi kaum etwas zu tun auf der dreiβig Kilometer langen Piste, die sich um die Aussichtspunkte herum schlängelt, und kann ebenfalls alles genießen.


Der Mond kommt hervor und begleitet uns zum winzigen Ort Mexican Hat, wo ich heute Morgen per kostenlosem Anruf aus unserem Hotel ein Zimmer reserviert habe. Das Dörfchen liegt an einem der fünf Flüsschen, die sich in den Lake Powell ergießen, und unser Zimmer geht auf den San Joan River hinaus, in dem die Dorfjugend prustend badet. Es ist immer noch glühend heiß abends um acht Uhr, als wir uns zu einer mexikanischen Pizza mit Wasser und Bier niederlassen. Wir sind aber so müde nach all dem Schönen, das wir heute wieder gesehen haben, dass wir nach einer von mir sehr genossenen Zigarette in der Billard Bar des Hotels in unsere Betten fallen.
Es ist an der Zeit, sich etwas auszuruhen, denn diese erste Woche hatte es wirklich in sich! So beschließen wir, in Moab, unserem nächsten Ziel, zwei Nächte hintereinander zu bleiben, zumal wir dort im Sunset Motel ein süßes Holzhäuschen mit passender Veranda finden. Die Temperatur klettert sage und schreibe auf hundertsechzehn Grad Fahrenheit, also fünfund-vierzig Grad Celsius und kaum sind wir aus dem herrlich großen Pool, in dem wir auch noch alleine paddeln dürfen, heraus, sind wir auch schon wieder trocken! Die Klimaanlage in unserem Zimmer kommt kaum nach, aber wenigstens wird es durch sie erträglich warm.
Nach einer kleinen Siesta und Hausaufgaben, das heißt Kartenschreiben an die Lieben daheim, machen wir uns auf die Suche nach der Post. Auf einmal verstehe ich, warum alle Amerikaner das Auto nehmen, selbst wenn sie nur mal Zigaretten holen gehen. Wir brauchen glatte zehn Minuten mit dem Auto, bis wir die Post und den Liquor Store gefunden haben. Weil hier die Prohibition herrscht, wollen wir uns nun gerade eine Flasche Wein kaufen. Selbige muss dann aber im Kofferraum unsichtbar transportiert werden, da eine Flasche Alkohol im Wagen, selbst ungeöffnet, strafbar ist!
Ausnahmsweise finden wir ein Restaurant mit Dachterrasse, das erschwinglich ist, und so können wir draußen essen. Nach dem üblichen mexikanischen Mahl, was ich allmählich sehr eintönig finde, kann ich einen Shandy trinken. Die Bedienung ist übrigens in allen Restaurants quasi perfekt, das heißt schnell und zuvorkommend. Wenn sie nicht wissen, dass ein Shandy aus zwei Drittel Bier und einem Drittel Limonade besteht, lassen sie es sich erklären und schreiben es sich sogar zum Teil auf für die nächsten Gäste ! Anstatt muffig «Ham‘ wa nich» zu murmeln wie bei uns zu Lande. Spätestens nach zehn Minuten kommt jemand, um uns zu fragen, ob auch alles zu unserer Zufriedenheit verläuft oder ob man noch etwas für uns tun könne. Einmal werden wir sogar Zeugen einer Szene, die ein Tourist macht, weil seine Frau angeblich nicht das Gewünschte bekommen hat. Selbstredend wird ihr Essen ausgetauscht und sie erhalten noch 10% Rabatt auf die Rechnung ‚for the hustle‘, also des Ärgers wegen. Da könnte sich bei uns in Europa so mancher Gastwirt eine Scheibe von abschneiden!
Am
nächsten Tag besuchen wir erst den Arches-Nationalpark
und raffen uns trotz der irren Hitze zu einem Spaziergang bis hin zum größten
der Bögen auf. Aber wie froh sind wir,
als wir wieder in unserem kühlen Auto gelandet sind. Eine Stunde später stehen
wir staunend am Dead Horse Point.
Dieser ist auch wieder sehr speziell und eindrucksvoll durch die Windungen des
Colorado Rivers sowie durch die « blauen Wellen », die in
Wirklichkeit Anlagen zur Gewinnung von Pottasche sind. Wir stehen
tausendfünfhundert Meter über dem Meeresspiegel, was bei dieser Hitze
unglaublich wirkt, und vor allem gibt es vor, neben und hinter uns Berge von
über viertausend Metern Höhe. Es ist wirklich ein Land der Superlative!

Die Höhenstraße Nummer zwölf, die wir am nächsten Tag in Richtung Bryce Canyon nehmen, ist eine der schönsten, die wir bisher befahren haben. Schwindelfrei sollte man allerdings sein und für schwangere Frauen, denen leicht übel wird, wäre die Kurverei auch nichts! Aber sie macht ihrem Namen ‘Scenic Byway’ alle Ehre. Birkenwälder wechseln sich ab mit Blicken auf Dreitausender oder in tiefe Schluchten. Es ist eine wunderschöne Fahrt, die uns in den Mormonenstaat Utah bringt. Zum ersten Mal fallen ein paar Tropfen und sogar Blitze gehen höchst fotogen aus dicken Gewitterwolken hernieder. Uns ist das nach der Sonne und der Hitze der letzten Tage nur recht!
«Bed and Breakfast», die Zauberformel für Irland und England, ist in den USA viel seltener und vor allem oft teurer als ein Motel. Wir sind gerade relativ weit weg von einer größeren Stadt und alle Hotels sind meilenweit ausgebucht. Wir sind also sehr froh, als wir inmitten eines üppigen Blumengartens das Schild BnB entdecken und gleich dahinter ein großes Holzhaus, das sehr gemütlich aussieht. Das Zimmer mit Bad kostet immerhin fünfundsechzig Dollar, aber unser beider Frühstück ist inbegriffen und wir greifen sofort zu. Die Betten sind breit, das Bad ist pieksauber — aber über der Kommode hängen «Grandma’s Rules», damit wir auch genau wissen, was alles in diesem streng christlichen Haus verboten ist : Alkohol natürlich (igitt !), Zigaretten (huch!), aber auch essen, trinken oder Wäsche waschen im Zimmer und das Herumtoben von Kindern ! Nur den Sex hat sie netterweise vergessen… Dafür bekommen wir aber gratis die Bibel und alle möglichen Traktätchen angeboten, die wir sogar mitnehmen sollen. Nein danke!
Gegen Abend fahren wir uns ein Rodeo ansehen. Beide sind wir über die Cowgirls, die fabelhaften Reiterinnen mit langen blonden Mähnen, entzückt. Doch die Rodeos mit den Kühen oder Stieren, auf denen zumTeil schon ganz kleine Jungs reiten müssen, bevor sie brutal abgeschmissen werden, lassen uns kalt.

Und nun also der Brice Park. Neben dem Grand Canyon ist er für uns der schönste von allen, die wir besucht haben! Als ob Riesen mit Schlamm gespielt hätten! Man nehme in die Riesenfaust ockerfarbenen Matsch und lasse ihn langsam und vorsichtig hinunter tropfen, bis alle möglichen Gebilde, von Schornsteinen bis Palästen, Bäumen und Figuren entstehen. Eine indianische Legende besagt, dass hier die bösen Tiere und Menschen von den Göttern versteinert worden seien.Jedenfalls fühlt man sich sehr klein…

Wir genießen morgens um neun Uhr einen zweistündigen Spaziergang bei angenehmer Temperatur und leichtem Wind. Die Farben sind einfach wunderschön und die vielen Eichhörnchen, die uns begleiten, sehr putzig. Wir trennen uns nur schwer von diesem wunderbaren Park, aber wir müssen weiter in Richtung Westen. Bevor wir am Nachmittag in Hurricane ankommen, fahren wir durch noch ein Naturschutzgebiet (ob wir wollen oder nicht, denn die Straße ist die einzige weit und breit!), das Zion-Nationalpark heißt und das wiederum ganz anders ist: Die Berge sind nicht mehr rot sondern grau und die Felswände, unter denen wir vorbeifahren, sehen wie geharkt und sehr bizarr aus.
Abends ziehen wir Bilanz: Bisher sind wir dreitausendfünfhundert Kilometer gefahren und haben etwas mehr Geld ausgegeben als geplant – allerdings nur vierundvierzig Dollar, das ist wirklich nicht viel. Es ist wieder so heiß, dass das Wasser im Pool so warm ist wie in einer Badewanne. Wir kaufen Milch, Obst und Cornflakes ein, um uns mal im Hotelzimmer ein Frühstück zuzubereiten, da wir eine Kaffeemaschine im Zimmer haben, denn wir wollen uns für Las Vegas stärken.
Las Vegas! Unser Führer warnt uns, dass es hier tagsüber eher enttäuschend sei, aber das können wir überhaupt nicht finden. Mi ist sofort von den Hochzeitskapellen, die überall an der Hauptstraße entlang gebaut sind, begeistert und vor allem von den überlangen, kitschigen Limousinen. Am liebsten würde sie sofort eine weiße kaufen. Immerhin will sie nicht gleich auch noch heiraten, denn auch das wäre – für Eilige sogar in 3 Minuten und 35 Sekunden durch ein Wagenfenster hindurch! – möglich. Heute, am Sonntag, bekommen wir ein auf die Hälfte verbilligtes Zimmer für zweiundvierzig Dollar, weil die Amerikaner aus Los Angeles oder San Diego hier mal kurz übers Wochenende rüber fliegen und daher die Stadt am Sonntag- abend so gut wie leer ist. Spontan beschließen wir, auch hier zwei Nächte zu bleiben, denn so billig leben wir nie wieder! Um die Leute anzulocken, rivalisieren nämlich die Casinos geradezu mit billigen Buffets.
Wenn man die nötige Geduld fürs Schlange stehen mitbringt, kann man hier köstlich essen, trinken und rauchen. Nach dem Abstinenzler-Staat Utah ist dieses süße Sündenbabylon wie für uns geschaffen! Im Golden Nugget und am nächsten Tag im MGM Casino schlemmen wir hemmungslos und genießerisch. Es gibt Krabbensalat und Fische aller Arten für mich, Fleisch für Mi und Champagner für uns beide. Wir können für umgerechnet höchstens dreiβig Mark so viel essen und trinken wie wir wollen! Allerdings darf man sich nicht von den entlang der Wartelinie schlau aufgestellten Automaten verleiten lassen, denn sonst geht das Geld schon da flöten.

Wir haben beschlossen, ein bisschen Geld zu investieren um zu spielen und nun beginnt unser ‘Casino Hopping’, das bis 3 Uhr morgens andauern wird. Wir bleiben in jedem Casino nur eine Stunde, damit wir möglichst viele besuchen können und die Attraktionen mitbekommen. Jedes Mal müssen wir allerdings einen neuen Parkplatz finden, denn die Distanzen sind einfach enorm und auch so werden wir nie mehr auf dieser Reise so viel laufen wie in Las Vegas. Was hier geboten wird an Lichtern und Fantasie in Bezug auf die Ausstattung der Casinos ist einfach umwerfend! Wir gehen vom ‘Circus’, wo natürlich echte Akrobaten über den Köpfen der Spieler eine Show abziehen, zum ‘Mirage’, wo alle Viertelstunde vor dem Hotel ein Vulkanausbruch stattfindet. Ich bin schwer begeistert und bliebe gerne noch – aber die Piratenschlacht mit zwei echten Schiffen, die auch noch fast echt versenkt werden, wartet schon auf uns. Vor allem mein Lieblings-Casino ‘Caesars Palace’ wo wir einen tollen Männerchor mitbekommen, hat es mir angetan. Ich kann mich von der großen Halle gar nicht losreißen und gewinne sogar hundertzwanzig Geldstücke!! Da wir aber nur mit Fünfzig-Cents-Stücken spielen, damit unser Spaß länger dauert, ist die Freude über das Klackern der Geldstücke größer als der eigentliche Gewinn. Naja, immerhin sechzig Dollar!

Nach ein paar Stunden haben wir auch den Trick raus, wie man an kostenlose Cocktails kommt. Auch hier braucht man nur etwas Geduld, um den Servierfräulein aufzulauern – was allerdings voraussetzt, dass man mindestens eine Viertelstunde an demselben einarmigen Banditen bleibt. Dann bekommt man aber auch alles, was man haben will! Draußen sind nachts um zwei Uhr immer noch fast dreiβig Grad, während wir drinnen gut eine Jacke vertragen, weil die Klimaanlagen auf die höchste Stufe aufgedreht werden. Wir haben einen Riesenspaß! Mi gewinnt mit dem ‘Schwert Excalibur’ eine fabelhaft blaue Sonnenbrille und wird zum Star des Tages gekürt! Später erleben wir das « bungee jumping », nämlich Leute, die sich freiwillig an einem elastischen Seil aus achtzig Meter Höhe in die Tiefe stürzen, brrrrr ! Unser einziges Bedauern ist, dass das berühmte Zauber-Gespann Siegfried and Roy momentan nicht in der Stadt ist. Das und die große Achterbahn, auf die Mi nicht für ihr Leben zu kriegen ist, bleiben fürs nächste Mal. Da wird es sicherlich noch neue Casinos geben, denn wie unser Führer es so schön ausdrückt:
Hier gibt es Platz, Geld und Kreativität – also ist Las Vegas noch lange nicht passé!
Drrrrrrring ! Oh Gott, fünf Uhr morgens ! Ich gäbe wer weiß was darum, jetzt weiterschlafen zu dürfen. Anstatt gestern Abend vernünftigerweise um zehn Uhr schlafen zu gehen, konnten wir uns nur schwer von unserem Caesar Casino losreißen und es wurde doch fast Mitternacht. Aber wenn wir heute im Death Valley nicht braten wollen (man hat uns vor Temperaturen von über fünfzig Grad gewarnt!), müssen wir uns nun auf die Strümpfe machen. Doch je weiter wir uns auf dem Highway von Las Vegas entfernen, desto länger werden unsere Mienen: das Morgengrauen hat einem grauen Tag Platz gemacht und – verflixt noch mal – jetzt fängt es sogar zu nieseln an!! In Amargosa halten wir an, um doppelt zu tanken. Benzin fürs Auto und literweise Kaffee für uns, um endlich richtig wach zu werden. Die paar Häuschen, die hier stehen, sehen aus wie die Filmkulisse zu ‘Bagdad Café’ und unserer frugales Frühstück in einem Mittelding von Tankstelle, Bar und Kramladen ist das totale Kontrastprogramm zu den letzten beiden Tagen in Las Vegas.
Da er tausendfünfhundert Meter hoch gelegen ist, hat man normalerweise einen fantastischen Blick vom Dantes View über die Salzebene des Death Valley hin, das an seiner tiefsten Stelle sechsundachtzig Meter UNTER dem Meeresspiegel liegt. Daher kommen die irrsinnigen Temperaturen, denn das Tal ist ausgesprochen schmal. Man sieht eine Art Mondlandschaft, die zugleich öde und unglaublich reich an salzigen Dünen und merkwürdigen Felsformationen ist. Leider regnet es inzwischen in Strömen und es ist so neblig, dass wir fast überhaupt nichts sehen. Zu blöd ! Noch dazu sagt uns eins der Servierfräulein in der einzigen und für uns viel zu teuren ‘Oase’ des Tales, wo wir um kurz vor zehn nicht mal mehr ein ordentliches Frühstück bekom-men können: «Normalerweise regnet es hier nie im Sommer und auch sonst nur einmal alle sechs Wochen.» Das hört man natürlich in so einer Situation besonders gerne.

Nach einem kurzen Fotostopp am Zabriskie Point, berühmt durch den gleichnamigen Film, kommt uns die Fahrt über hundert Kilometer auf der schnurgeraden Straße durch die Öde und durch den Regen noch trostloser vor. Wir denken mit größter Hochachtung an die ersten Pioniere, die zu Fuß (!!) diesem Vorort der Hölle entflohen sind und atmen erleichtert auf, als die ersten Büsche und Bäume wieder in Erscheinung treten.Inzwischen sind wir so hungrig, dass wir uns ausnahmsweise mal zu einem Mittagessen im Western Saloon von Long Pine niederlassen. Wir fühlen uns fast wie John Wayne und Cary Grant, die hier vor uns gegessen haben, weil das Death Valley eine beliebte Filmkulisse Hollywoods war. Die heiße Hühnersuppe erweckt unsere Lebensgeister wieder, denn wir haben inzwischen lange Hosen und Pullover anziehen müssen, da die Temperatur rapide fällt. Wir wenden uns nun der Sierra Nevada zu. Allerdings werden wir von ihr nur durch tiefhängende Wolkenfetzen hin und wieder einen Blick auf eine schneeweiße Kuppe erhaschen und kommen am Abend an ihrem Fuß müde und enttäuscht an.
In Mammoth Lake, so heißt der Ort, sind wir wieder in Kalifornien und haben genau fünf-undzwanzig Grad weniger als noch vor achtundvierzig Stunden! Das scharf gewürzte mexikanische Essen in dem holzver- schalten Restaurant des kleinen Bergdorfes (wo man im Winter Ski läuft) kaum verschlungen, fallen wir in unsere Betten und hoffen, dass morgen für den Yosemite Park schönes Wetter sein wird. Jedoch: Was für ein Jammer ! Nichts oder kaum etwas sehen wir vom ersten Nationalpark der Welt, der1864 von Abraham Lincoln eröffnet wurde. Bei Sonne muss es hier einzigartig schön sein, denn so viel sieht man doch: Der Talboden und der blaue Mercedes Lake liegen auf nur sechshundert Metern Höhe, während die uns umge- benden Berge fast Viertausender sind! Es gibt Tausende von Hektar Bäume, unter anderem die berühmten Sequoias. Bären und Wölfe leben hier in Frieden. Leider begegnen wir keinem, als wir eine Stunde lang, nass und immer nasser werdend, unter den bis zu sechs Meter dicken Sequoia- Bäumen herumspazieren – bis wir eine Genickstarre bekommen
Wieder flüchten wir in unser rolling home, diesmal nicht vor der Hitze sondern vor der Kälte. Glücklicherweise haben wir genügend Kleidung zum Wechseln dabei und am Nachmittag, als wir auf der anderen, dem Meer zugewandten Seite der Sierra Nevada in Richtung San Francisco weiterfahren, klart es endlich auf. Wir kommen durch schönes Hügelland an der großen San Pedro Talsperre entlang und lassen uns treiben. Ausnahmsweise wollen wir uns mal von unserem Reiseführer, der uns bisher bestens beraten hat, freimachen und landen in Sonora. Dieses total unamerikanische Städtchen liegt malerisch zwischen grünen Hügeln und sieht fast aus wie ein Schwarzwälder Kurort. Es wurde aber im vorigen Jahrhundert von mexikanischen Bergarbeitern gegründet, die hier in den Minen schufteten. Offenbar wurden sie bzw. ihre Nachkommen (und vor allem die amerikanischen Besitzer!) dabei ziemlich wohlhabend, denn die vielen Antiquitätengeschäfte in der Hauptstraße sprechen Bände.
Wir bummeln an hübschen Villen und Gärten vorbei und baumeln mit der Seele. Die wieder gefundene Sonne wärmt köstlich und dann fahren wir einkaufen. Wir wollen morgen mal wieder ein « Flöckchen-Frühstück » (das ist Mimis Bezeichnung für Cornflakes) einnehmen und kaufen Milch und Obst, aber auch eine Flasche Bordeaux. Zu unserer großen Überraschung darf das junge Fräulein an der Kasse den Preis nicht ohne Unterstützung ihres Abteilungsleiters in die Kasse eintippen (!) —-weil sie noch keine 18 ist! Aus dem gleichen Grund muss ein junger Mann an der Tankstelle seinen Ausweis vorzeigen, nur weil er eine Schachtel Zigaretten kaufen will!
Heute Abend gehen wir endlich mal nicht mexikanisch, sondern chinesisch essen, juhu! Leider ist der Chinese nicht aus China sondern von hier und bringt auf Mi’s Wunsch nach hot sauce — schlichten Senf. Der kalifornische housewine ist so süß, dass es ein Jammer ist. Die hiesigen Weine tragen oft französische Namen, sind aber bis auf ganz wenige Ausnahmen alles andere als trocken, sogar wenn dry draufsteht. Als ich am Ende der Mahlzeit eine Zigarette rauchen will, heißt es allerdings wieder «sorry, no smoking ». In sämtlichen Restaurants Kaliforniens darf nicht mehr geraucht werden. Gleich nebenan gibt es eine Bar mit Bier, also auch Shandy, nebst einem Pärchen von Folk-Sängern, die auch wieder die alten Lieder singen, die ich schon in den 60er und 70er Jahren sang. Die Standardansage im Radio lautet: «Great songs and wonderful memories ». Wie wahr ! Man hört hier sehr viel öfter Elvis oder Sinatra, die Beatles und Country Musik als Techno und Rap, was uns sehr lieb ist.
Übrigens werden sogar die seriösesten Nachrichten gnadenlos von Reklamespots unterbrochen. Außerdem höre ich jeden Nachmittag, wenn wir unterwegs sind, eine Sendung mit einer Psychotherapeutin, die den Anrufern Ratschläge gibt. Ich verstehe zwar nicht immer alles, denn die verschiedenen Akzente der Leute aus dem Westen haben nur sehr entfernt etwas mit Oxford Englisch zu tun. Interessant finde ich aber die Sen- dung allemal, sagt sie doch sehr viel über den Zeitgeist in diesem Land aus.
Folgende Beispiele an Aussagen, die immerhin im Jahre des Herrn 1997 gemacht werden : « Ich will nicht, dass meine Frau arbeitet », « Wir sind geschieden und er kümmert sich nie um die Kinder », « Ich habe gerade was mit der Frau meines besten Freundes angefangen, was soll ich machen ?» und so weiter. Das Erstaunliche daran ist, dass die Ärztin ihren Hörern meist kräftig die Leviten liest, ihnen hochmoralische Ratschläge gibt und nicht locker lässt, bis sie die Leute auf den von ihr als richtig empfundenen Weg geschickt hat. Sie besteht auf das unbedingte Einhalten von einem Vertrag/commitment, ganz egal ob es ein geschäftlicher ist oder ein privater, wie die Ehe. Ihr meiner Meinung nach wichtigster Satz ist: « Don’t add evil to the world – Setz kein Unrecht in die Welt. »
Am nächsten Morgen lacht die Sonne und wir fahren stundenlang durch üppiges Weideland und die riesigen Obstplantagen Kaliforniens. Schon hundert Kilometer vor San Francisco wird der Verkehr so dicht wie die Besiedlung. Wir haben manchmal das Gefühl, auf der vierspurigen Autobahn von den riesigen Trucks, den Lastern, die zum Teil sehr schön und witzig sind durch ihre zwei Schornstein-Auspuffrohre, zerquetscht zu werden…

Über die Oaklandbaybrücke fahren wir mit herrlichem Blick auf die originelle Skyline und die Bucht von San Francisco auf die Stadt zu. Sofort befinden wir uns im dicksten Gewühl, der dem von Paris sehr ähnelt. Allerdings kommen hier zu den Autos und Bussen noch die Straßenbahnen, viele Fahrräder und der berühmte Cable-Car, der überall Vorfahrt hat. Was ich beim Suchen der Straßen als sehr angenehm in allen amerika- nischen Städten empfinde, sind die Ampeln HINTER den Kreuzungen und die horizontal ÜBER den Straßen angebrachten Schilder.
Immerhin gerät Mi doch ganz schön ins Schwitzen und ist froh um ein bisschen Pause, während ich in den Verkehrsverein gehe und dort Straßenkarten und ein Abonnement für die öffentlichen Verkehrsmittel kaufe, denn wir wollen das Auto weitgehend stehen lassen. Zunächst benutzen wir es aber noch, um den gut ausgeschilderten Scenic Way abzufahren, was gut und gerne vier Stunden dauert, uns aber auch einen fast kompletten Eindruck von San Francisco vermittelt.
Wir mögen die Stadt auf Anhieb, was kein Wunder ist, denn sie wurde zu jedermanns Lieblingsstadt, Everybody’s favorite City gewählt! Sicher ist sie eine der schönsten Städte der Welt. Hier könnte ich gut eine Weile leben – wenn das Wetter nicht wäre! Durch ein sehr lokales Klimaphänomen ist es im Juli und August nämlich kälter als im Oktober und Nebel sowie die Umweltverschmutzung hinterlassen einen klebrigen Film auf der Haut und im Haar. Das ist aber auch schon alles, was an San Francisco auszusetzen wäre.
Wie in Paris oder Berlin gibt es hier sehr typische Viertel, was die Stadt farbig und interessant macht. Sie ist landschaftlich ebenso wie städtebaulich reizvoll: auf der einen Seite viele Hügel, das Meer und die Bucht und auf der anderen Seite die bunten Häuser in den unterschiedlichsten Baustilen. Man kann sich kaum vorstellen, dass hier im Jahr 1848 nur dreißig kleine Häuschen eines Fischerdorfes standen. Doch dann kam der Goldrausch und der änderte alles. Wo aber andere amerikanische Städte von hässlichen Wolkenkratzern verschandelt wurden, blieb San Francisco davon verschont. Die ausgesprochen originelle und schöne Skyline des Börsenviertels verdankt die Stadt der intelligenten Politik ihres Bürgermeisters, der stipulierte, dass neue Hochhäuser ganz bestimmten ästhetischen Prinzipien unterworfen werden müssen. Außerdem machte er sich dafür stark, dass heruntergekommene Viertel wie das Tenderloin, in dem unser Hotel steht, nach und nach wieder rehabilitiert werden. Die Mieten dürfen jedoch nicht in astronomische Höhen klettern und der Mittelstand darf nicht an die Peripherie verdrängt werden. Davon könnte man in Paris und Berlin gerne lernen!

Seit 1929 werden alle Häuser erdbebensicher konstruiert, denn im Jahr davor geschah das furchtbare Erdbeben, das achtundzwanzigtausend Häuser, vier Fünftel der Stadt, in kürzester Zeit zerstörte. Doch schon im Jahr darauf waren sechstausend Häuser wieder aufgebaut. Die Versiche- rungen mussten nämlich für die Feuersbrunst zahlen, die viel mehr Schaden anrichtete als das Erdbeben selber. Deshalb ging auch das letzte große Unglück von 1989 fast glimpflich ab, denn nur ein paar alte Häuser des Marina-Viertels und die Bay Bridge wurden zerstört. Alle diese Details lerne ich in unserer Hotelhalle, wo viele Schwarz-Weiß-Fotos davon zeugen, dass sich das Stadtbild in hundert Jahren kaum verändert hat, was sicher auch mit ein Grund für ihre Anziehungskraft ist.
Der große Unterschied zum « unmenschlichen » Los Angeles ist der, dass man diese Stadt zu Fuß erwandern kann. Durch ihre verschiedenen Viertel bekommt sie für uns einen angenehmen, da bekannten europäischen Charakter. Das chinesische Viertel, indem über neunzigtausend Chinesen fast wie in einer abgeschlossenen Stadt leben, ist natürlich das spektakulärste neben dem Börsenviertel. Aber auch das Quartier de Castro mit seinen gay guys ist höchst speziell. In dieser Stadt ist man stolz darauf, ein Homosexueller zu sein und trägt für uns manchmal ein bisschen zu dick auf. Überall hängen regenbogenfarbige Fahnen aus den Fenstern der von Homosexuellen bewohnten Häuser. « Natürlich » fanden und finden die anderen, puristischen Ameri- kaner, dass Erdbeben und AIDS eine nur zu gerechte Strafe für sie und die Junkies sind, die wir gleich am ersten Abend vor unserem Hotel in Augenschein nehmen dürfen. Man kann nur hoffen, dass sich diese Einstellung in Zukunft ändern wird…

Wir haben es uns in unserem – für hiesige Begriffe billigen – Zimmer für siebzig Dollar die Nacht häuslich gemacht. Es ist sehr groß und total altmodisch eingerichtet mit einem vorsintflutlichen Fernseher ohne Fernbedienung (man glaubt es kaum!). Als wir aus dem Hotel kommen, um im Italienischen Viertel essen zu gehen, kommen wir auf der anderen Straßenseite an einem an die Hauswand gelehnten Mann vorbei, vor dem ein anderer steht. Der sieht genauso aus wie ein Gangster im Film, in dessen Tasche ein Revolver versteckt ist… Ich ziehe Mi am Ärmel und wir gehen mit starrer Miene vorbei. Zehn Meter weiter höre ich, wie einer der beiden einen schrillen Pfiff ausstößt, und drei Sekunden später hält ein Polizeiwagen mit quietschenden Reifen vor den beiden. Ein Beamter in Zivil, der einen Dealer festgenommen hat ? Wir ziehen es bei weitem vor, nach Touristenart weiter zu schlendern.

Zwei Tage lang durchstreifen wir die Stadt zu Fuß, per Bus, Tram, U-Bahn und sogar mit dem immer übervollen aber wirklich witzigen Cable-Car. Wir laufen hinauf zum Telegraph Hill, einem der schönsten Wohnviertel mit reizenden Villen und üppigen Gärten. Oben angekommen hat man vom Coit Tower, den eine reiche Witwe, die von Feuerwehrmännern gerettet wurde, diesen zum Ruhm errichtete, einen fantastischen Blick über die Stadt und die Bucht mit der berüchtigten Gefangenen Insel Alcatraz. Aus diesem Gefängnis gelang es kaum jemandem zu fliehen, ganz einfach, weil das Wasser hier nur sechs Grad warm ist und außerdem reiβende Strömungen das Schwimmen durch die Bay quasi unmöglich machen.

Natürlich müssen wir auch die „Lombard Street“, auch „ Crooketest Street », die kurvenreichste Straße der Welt besuchen und zwar gleich zweimal, denn Mi will sie unbedingt einmal mit dem Auto abfahren. Mir wird fast schlecht dabei, weil sie wegen einer Ampel auf einer so steilen Straße anhalten muss, dass man selbige gar nicht mehr über dem Armaturenbrett sieht! Als wir parken wollen, müssen wir das Auto sogar rechtwinklig zur Straße abstellen, da es sonst trotz angezogener Bremsen hinunterrollen könnte…
Später bummeln wir über die Fisherman’s Wharf mit ihren kilometerlangen Ständen von teuren Fischen und Meeres- früchten. In einer speziell dafür eingerichteten Halle bestaunen wir die roller-kids, die unglaublich kühn und mutig die tollsten Sprünge hinlegen. Unter ihnen befindet sich auch ein Mädchen, das genauso mit Karacho hinfliegt wie die Jungs, was ich sehr bewundere! Wir kommen an Ständen vorbei, wo Chinesinnen kalligrafisch die Vornamen der Passanten in wunderschönen Farben aufmalen und mit Vögeln, Blumen und Sternen verzieren. Und dann singt Mary Stallings wunderbar Jazz im Girardelli Square!
Obwohl uns langsam sehr kalt wird (trotz « Zwiebel-Systems », also T-Shirt plus Seidenbluse mit langen Arm, plus Pulli plus Blazer, damit wir von morgens bis abends gewappnet sind), genießen wir alles. Was uns aber nicht daran hindert, uns über die kritzeblauen Schuhe eines ansonsten ganz in schwarz gekleideten distinguierten Herrn zu mokieren.
In Sausalito, der berühmten Hausboot-City
am anderen Ende der Bucht, kaufe ich mir am nächsten Tag einen kleinen Engel
für meine Sammlung. Er trägt eine Uhr im Bauch, die mir auf meinem Pariser
Kamin die hiesige Zeit angeben wird.

Er wird mich leider auch daran erinnern, dass wir zwar über die berühmte Golden Gate Bridge gefahren sind, sie aber wegen des Nebels kaum gesehen haben! Erst am letzten Tag, an dem Mi netterweise zum dritten Mal mit mir zum Twin Peak, dem berühmtesten Aussichtspunkt hoch über den Hügeln der Stadt fährt, damit ich doch noch ein paar Fotos schießen kann, wird es uns gelingen, sie wenigstens von weitem zu sehen.
Unten in der Stadt sind manche Menschen wirklich ganz unten, das heißt am Ende. Jeden Morgen, wenn wir zum Frühstück zu « Dotty’s Place » gehen, müssen wir erst an Betrunkenen, Obdachlosen und Bekifften vorbei – was einem schon mal den Appetit verschlagen kann. Aber das winzige Restaurant, das immer so voll ist, dass wir an der Tür erst mal Schlange stehen müssen, ist so lustig, dass wir uns gleich wieder wohlfühlen. Es ist blau-weiß eingerichtet und es gibt viel zu gucken : die zwei Köche, die blitzschnell Spiegeleier, Omelette und Rühreier zaubern und die Besitzerin, die freundlich aber bestimmt die Rechnung bringt, sobald der letzte Bissen aufgegessen ist, ohne dass sich jemand darüber aufregen würde.
Außerdem muss dieses Frühstück bis abends reichen, denn wir wollen weder Geld noch Zeit für ein Mittagessen drangeben. Das Brot hier ist so köstlich und die Portionen sind so reichlich, dass man sich immer noch ein doggy bag mitnehmen kann, was ebenfalls als völlig selbstverständlich hingenommen wird. Originalton einer Amerikanerin, die ich darauf ansprach:
Wenn ich essen gehe, dann will ich für mein Geld auch ordentlich was auf dem Teller haben!
Am letzten Abend leisten wir uns eine Pina Colada im hoch vornehmen Hyatt Regency Hotel und genießen aus der fünfundzwanzigsten Etage noch einmal den Blick über die Stadt, den Hafen und die Bay dank der sich drehenden Bar. Als wir wieder unten sind, werden wir Zeugen einer Hochzeit mit Dudelsackpfeifern in Schottenröcken, die tiefernst vor einer Kirche den dort auf das Paar wartenden Gästen aufspielen. Alles ist sehr amerikanisch-kitschig: Rolls-Royce mit einer als Clown verkleideten Fahrerin, roter Teppich, Seifenblasen, Fracks und tief dekolletierte Abendkleider um achtzehn Uhr und bei dreizehn Grad!
Da lobe ich mir doch eine andere « Show », der wir am Sonntag beiwohnen dürfen, nämlich dem Gottesdienst in der Glide Memorial Methodist Church. Innen sieht die Kirche aus wie eine Aula: eine leere Bühne mit dem Klavier auf der linken und einem Schlagzeug auf der rechten Seite. Kein Kreuz, keine Heiligen, keine Kerzen. Nur große einfache einfarbige Fahnen mit den Worten «Friede, Liebe, Macht» sowie aufgemalten verschlungenen Händen und dem Regenbogen- Motiv. Die Kirche ist so voll, dass wir nur mit Mühe zwei Plätze in den hinteren Reihen finden.

Das Publikum ist hauptsächlich schwarz und vom Baby bis zur Urgroßmutter sind alle Altersgruppen vertreten. Die meisten Weißen sind wie wir Touristen. Alles lacht und quatscht fröhlich durcheinander. Wenn ich da an die steife Stille in der Bad Lauterberger Kirche denke…! Dennoch habe ich keinen Augenblick den Eindruck der Respektlosigkeit. Und dann kommen auf einmal die Musiker auf die Bühne und sofort legen Klavier, Trompete, Keyboard, Bass und Schlagzeug los, was das Zeug hält! Nach und nach erscheinen die ungefähr fünfzig Chormitglieder und zwar sind Menschen aller Farben, Alte, Junge, Rollstuhlfahrer und Leute mit einem Handicap dabei. Sofort stehen wir alle auf, singen und klatschen rhythmisch mit, halten uns während des sehr anrührenden Gebets an den Händen, fallen uns auf Kommando in die Arme, um uns einen guten Morgen zu wünschen, setzen uns, stehen wieder auf — wir klatschen, wir pfeifen, wir singen eine ganze Stunde lang ! Es ist fast wie ein Rockkonzert und dennoch ist «the spirit» greifbar da!
Endlich kommt der dicke, schwarze, humor- und geistvolle Reverend auf die Bühne, um zu predigen. Das heißt, erst einmal hebt er ein Kind auf, um es zu küssen und begrüßt eine alte Dame, die lange weg war und nun wieder in ihre Gemeinde zurückgekehrt ist. Alle Anwesenden klatschen und geben lauthals ihrer Freude Ausdruck! Das alles ist so natürlich, so überhaupt nicht aufgesetzt, dass ich ganz betroffen bin. SO kann also eine Gemeinschaft von Menschen sein! Dabei scheut sich der Reverend durchaus nicht, Reklame zu machen. Ganz egal, ob es sich um Mitgliederkarten handelt, die man erstehen kann, um sicher zu sein, jeden Sonntag einen Sitzplatz zu bekommen (so beliebt sind seine Predigten!) oder um eine Filmgesellschaft, die bezahlte Statisten für eine kleine TV-Serie sucht. Bei der großen Arbeitslosigkeit, die hier im Viertel herrscht, ist jeder Dollar willkommen und die Leute schreiben sich die Telefonnummer, die der Reverend angibt, sofort auf. Immer wieder singt der Chor mit hervorragenden Solisten, vor allem einem kleinen buckligen Mann und einer Frau im Rollstuhl, Gospels und es ist ganz einfach wunderbar!
Der Reverend hat unendlich viel Humor und – ja, Güte. Ein Beispiel: « Ich wollte Paul Duncan, der dreiβigtausend Dollar für unser Rehabilitierungsprogramm gespendet hat, danken. Wo ist er denn? Nicht da? Ach ja stimmt, der wollte ja heute Morgen Motorradfahren gehen – Recht hat er! » Man stelle sich das von einem Pastor in Deutschland oder einem Curé in Frankreich vor! Dieser hier ist seit 34 Jahren Priester und im besten Sinne des Wortes ein Entertainer, der den Menschen nicht sagt, was sie tun sollen, sondern es ihnen vorlebt. Er spricht von seiner Frau als ‘mein Boss’ und bittet um Spenden für seine Programme. Dazu geht ein speziell angefertigter « Hut mit Schlitz » herum, damit man nur Dollarscheine und kein Kleingeld hineintun kann. Ich habe selten so freudig gegeben!
Selbstverständlich dankt er auch denen, die bis zu Hunderttausend Dollar gespendet und noch mehr versprochen haben (einer bis zu sieben Millionen in den nächsten Jahren!). Während er predigt, kom- mentieren die Gemeindemitglieder lautstark seine Worte mit « yes indeed, oh lord » und man merkt, dass sich da keiner wichtigmachen will, sondern dass das alles ganz natürlich ist. Er erzählt uns z.B., dass ihn ein Obdachloser jeden Morgen und Abend, wenn er aus seiner Pfarrei herauskommt, mit den Worten: » Reve- rend, ich bete für Sie » begrüßt. Er, der eine Wohnung, genug zu essen, eine liebe Frau und Freunde hat, schäme sich, dem Mann nicht mehr helfen zu können. Gleichzeitig sei er aber von dessen Gebet tief gerührt. Der gesamte Gottesdienst wird von einem jungen Mann in Jeans und Turnschuhen mit umgedrehter Baseballmütze in die Gebärdensprache übersetzt. Während der Choräle laufen über eine Filmleinwand die Texte mit, damit wir alle sie mitsingen können. Wir sind sehr gerührt und begeistert gleichzeitig von diesem einmaligen Erlebnis!
Nun geht es weiter in Richtung Süden auf der Pacific Coast Highway am Meer entlang und abends sind wir schon in der « Milliardärs-Kolonie » Monterey. Wir fahren über den legendären Seventeen Miles Drive, von wo aus man einige der schlossartigen Häuser sehen kann. Nett aber langweilig. Höchst bescheiden kommen wir dagegen in einem kleinen Motel unter und amüsieren uns köstlich über eine Robbe, der ich aus Jux die Frage stelle, ob es ihr auf ihrem Felsen im Wasser nicht zu kalt sein. Sie antwortet nur mit gelassenem Flossen- wedeln. Nach einem perfekten Dinner mit großem Salat und Fisch gehen wir noch auf eine Zigarettenlänge in eine Bar, wo es live music gibt. Die eigentliche Attraktion ist aber auf der wunderschönen, mit Marmor ausgekleideten Toilette zu hören: eine sonore Stimme liest über Lautsprecher Gedichte – auf Italienisch…
Mist! Wieder ist es grau, kühl und nebelig, als wir am nächsten Tag zu unserer letzten Etappe aufbrechen. Morgen Abend sollen wir schon wieder in Los Angeles sein und müssen das Auto abgeben. Heute wollen wir den schönsten Abschnitt der Steilküste erfahren und sind sehr enttäuscht, weil wir wegen des dummen Wetters kaum etwas sehen. In Carmel, dem Städtchen, in dem Clint Eastwood Bürgermeister war, geraten wir fast aus dem Häuschen, so elegant und schön ist es hier! Keine hässlichen Häuser, nur schöne Villen mit herrlichen Gärten –«calme, luxe et volupté». Die ganze Stadt ertrinkt förmlich in Blumen. Wir müssen unbedingt noch mal herkommen, wenn schönes Wetter ist!
Erst nachmittags um drei Uhr klart es auf, gerade als wir am Hearst-Castle ankommen.

Mi will es unbedingt sehen, also los! Es ist ein kleines, beschei- denes Anwesen, das sich der Zeitungsmagnat (der die Vorlage zum Film « Citizen Kane » abgab) da hingestellt hat: wir fahren NUR neun Kilometer mit dem Bus von seinem Gartentor bis vor das Haupthaus! Zwei Swimmingpools, einer außen, einer innen (für die abendlichen Rendezvous), mehrere Gästehäuser, Terrassen, Gär- ten, alles ist gigantisch! Allerdings auch nicht immer schön – bis auf den Marmor-Pool und den Blick über die Hügel zum Meer. Der Herr hatte seine Macken und wer bei ihm eingeladen war, hatte nicht unbedingt etwas zu lachen.

Abends, pünktlich um sieben Uhr gingen die überladenen Doppeltüren zum Salon auf und dann musste bei verwässerten Drinks (damit keiner einschlief!) bis um neun Uhr Konversation gemacht werden. Beim anschließenden Essen saß der Hausherr mit seiner – wechselnden! – Hausherrin in der Mitte der ungefähr dreißig Meter langen Tafel und jeden Tag hatte er einen anderen Ehrengast neben sich. Sobald einer der Geladenen das Namensschild vor seinem Gedeck am Ende der Tafel fand, wusste er, dass es Zeit sei, « die Ranch », wie das Schloss untertrieben genannt wurde, zu verlassen. Bei Strafe sofortigen Rauswurfs durfte kein Gast auf seinem Zimmer Alkohol trinken und es wurde selbstredend erwartet, dass man bei der abend- lichen Filmvorführung im privaten Kino dabei war, sowie tagsüber bei allen möglichen neckischen Spielchen, der Jagd oder beim Cricket mitmachte.

Das ist alles nichts für uns, genauso wenig wie der wahnsinnig kitschige « Madonna-Inn » in Obispo. Wohingegen das « Chinese Theatre » am letzten Tag in Los Angeles wirklich noch einen Besuch wert war und ich dem einzigen Franzosen, dessen Fußspuren davor abgebildet sind, unbedingt noch meine Reverenz erweisen wollte.

Es war eine wunderschöne, instruktive, erlebnisreiche und aufregende Reise! Seitdem sehe ich alle amerikanischen Film mit anderen Augen an. Neulich kam sogar auf ARTE ein Film über San Francisco und « unseren » Reverend. Und da fühlten wir uns fast schon wie dazu gehörend!
WAS BLEIBT: Grand Canyon, Monument Valley, Las Vegas, San Francisco und – E.T. in Hollywood natürlich!